Süddeutsche Zeitung

Vatikan:Benedikt XVI. bricht sein Schweigen

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Von Stefan Ulrich

Um 20 Uhr schlossen die Schweizergardisten die Tore des päpstlichen Sommerpalastes in Castel Gandolfo. Dann verließen sie ihren Posten. So demonstrierten sie am 28. Februar 2013, dass Benedikt XVI. nun Summus Pontifex emeritus war, ein Papst im Ruhestand. Benedikt zog sich in ein Kloster im Vatikan zurück und gelobte, künftig wie ein Mönch zu leben und das Feld dem Nachfolger zu überlassen.

An diesem Freitag aber werden sich die Tore zu Benedikt wieder ein Stück öffnen. Dann erscheint in Deutschland und vielen anderen Ländern ein Buch mit Gesprächen, die der Journalist Peter Seewald mit dem Papst geführt hat. Heraus kam eine Mischung aus Autobiografie, Testament und Verteidigungsschrift. Darin versucht Joseph Ratzinger, sich selbst und sein Pontifikat der Welt zu erklären.

Auf jedes seiner Worte wartet die Goldwaage

Nun ist der Rücktritt eines Papstes eine heikle Sache, weil der alte dem neuen Pontifex dreinreden könnte. Die Geschichte ist reich an Gegenpäpsten und Schismen. Entsprechend zurückhaltend lebte Benedikt seit jenem Februarabend. Wenn er jetzt über Stärken und Schwächen seines Pontifikats, Seilschaften, Glaubenszweifel und seinen Nachfolger Franziskus spricht, so ist das delikat. Auf jedes seiner Worte wartet die Goldwaage.

Dabei ist das Buch locker im Stil und anekdotenreich. Der Leser erfährt, dass der junge Theologieprofessor Ratzinger oft "Mensch ärgere Dich nicht" spielte, als Ketzer angeschwärzt wurde und während des Zweiten Vatikanischen Konzils gern in Trastevere "gezecht" hat. Bedeutsam sind andere Passagen.

Da erzählt er, wie sehr ihn die Wahl zum Papst belastete. Kannte er doch als bisheriger Präfekt der Glaubenskongregation die Schattenseiten der Kirche genau. Pädophile Priester, intransparente Finanzen und Korruption bildeten jenen "Schmutz" in der Kirche, den er beseitigen wollte.

Doch der sei hartnäckig gewesen. "Ich wollte natürlich mehr tun, als ich konnte." Immerhin habe er Hunderte pädophile Priester entlassen und eine Schwulen-Seilschaft im Vatikan zerschlagen. "Ob sich wieder was bildet, weiß ich nicht."

Er unterschätzte die politische Bedeutung seiner Regensburger Rede

Offen räumt Benedikt ein, er habe die politische Bedeutung seiner Regensburger Rede unterschätzt. Sie löste 2006 weltweit gewalttätige Proteste von Muslimen aus. Dagegen sieht er die Schuld an der Affäre um den Holocaust-Leugner Bischof Williamson, dessen Exkommunikation Benedikt 2009 aufhob, bei Mitarbeitern. Sie hätten ihn schlecht beraten. Danach sei eine "riesige Propagandaschlacht gegen mich" entfesselt worden.

Scharf geht der frühere Münchner Erzbischof mit der katholischen Kirche in Deutschland ins Gericht. Er beklagt einen "etablierten und hochbezahlten Katholizismus" samt "Überhang an ungeistlicher Bürokratie", eine "Theoretisierung des Glaubens" und einen "Mangel an einer lebendigen Dynamik". Umso sanfter klingt Benedikt, wenn er über Franziskus spricht. Dessen Wahl habe ihn völlig überrascht und zunächst verunsichert.

Doch dann habe ihn der herzliche Umgang seines Nachfolgers mit den Menschen glücklich gemacht. Franziskus setze andere Akzente als er, es gebe aber keine Gegensätze. Muss man das glauben? Mehr Aufklärung ist von Benedikt wohl nicht mehr zu erwarten. Der Titel des Buchs lautet: "Letzte Gespräche".

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SZ vom 08.09.2016
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