Süddeutsche Zeitung

U-Boot "San Juan":Die Frage, die jetzt ganz Argentinien beschäftigt

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Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Die Frage, die jetzt ganz Argentinien beschäftigt, lautet: Wie lange hält man in den Tiefen des Ozeans in einem U-Boot durch? "Unter normalen Umständen", teilt die argentinische Kriegsmarine mit, könne die ARA San Juan 90 Tage lang ohne Hilfe von außen auskommen. So lange müssten Treibstoff, Nahrungsmittel und das Trinkwasser für die 44 Besatzungsmitglieder ausreichen. "Unter normalen Umständen" bedeute aber, dass das U-Boot alle ein bis zwei Tage in den Schnorchel-Modus auftauche, um Frischluft zu tanken. Wenn das nicht möglich sei, reiche der Notsauerstoff im Extremfall für maximal sieben Tage. An diesem Mittwoch liegt der letzte Funkkontakt genau eine Woche zurück. Seither ist die San Juan verschollen. Und allmählich erhärtet sich der Verdacht, dass sie nicht an der Wasseroberfläche treibt, sondern irgendwo auf dem Grund des Südatlantiks liegt.

Im Golf von San Jorge, etwa 450 Kilometer vor der patagonischen Küste, ist eine beispiellose internationale Suchaktion angelaufen. 14 Schiffe und zehn Flugzeuge sind im Einsatz, darunter Spezialeinheiten aus Brasilien, Großbritannien und den USA. Die argentinische Zeitung Clarín spricht von einer der größten Rettungs-Operationen in der Geschichte der US-Marine. Eine Bergung am Meeresboden mit Mini-U-Booten und ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen wird vorbereitet. In dem Gebiet, wo die San Juan vermutet wird, ist der Atlantik rund 350 Meter tief. Es ist jetzt wohl keine Frage von Tagen mehr, eher von Stunden, ob die 44 Seeleute lebend gefunden werden. Oder ob sie in ihrem schwimmenden Sarg ersticken.

Das vermisste Unterseeboot war am vergangenen Montag von Ushuaia ausgelaufen, der südlichsten Stadt der Welt. Anfang dieser Woche hätte es die argentinische Hafenstadt Mar del Plata erreichen sollen. Dort haben sich inzwischen weit mehr als hundert Verwandte und Freunde der Besatzungsmitglieder eingefunden. Sie werden von Psychologen und Geistlichen betreut, von hochrangigen Politikern und Generälen informiert und von einer wachsenden Zahl von Fernsehteams interviewt. In seiner Mischung aus Anteilnahme, Solidarität und Sensationslust erinnert die Szenerie zunehmend an die dramatische Rettungsaktion von 33 verschütteten chilenischen Minenarbeitern im Jahr 2010. Einer der Psychologen von damals ist auch diesmal wieder dabei.

In der chilenischen Kupfermine San José ging am Ende alles gut aus. Die Angehörigen der argentinischen Seeleute sind seit Tagen hin- und hergerissen zwischen Zuversicht und Ernüchterung. Noch am Wochenende klammerten sich alle an das Gerücht, die Besatzung habe mehrfach versucht, sich per Satellitentelefon zu melden. Das nährte die Hoffnung, das U-Boot sei aufgetaucht und müsse nur noch zwischen den sechs bis acht Meter hohen Wellen an der Wasseroberfläche gefunden werden. Am Montag teilte der Marinesprecher Enrique Balbi allerdings mit, dass die Signale definitiv nicht von der San Juan stammten.

Nur wenig später berichtete der US-Sender CNN von einer neuen Spur. Demnach hatten argentinische Kriegsschiffe per Echolot ein "dauerhaftes Geräusch" unter Wasser geortet. Klopfzeichen aus dem verschollenen U-Boot? Balbis Absicht, nicht wieder verfrüht Hoffnung zu schüren, war mit dem Medienbericht hinfällig. Er bestätigte, dass ein US-Aufklärungsflugzeug das Geräusch aufgezeichnet habe und es mit einer speziellen Software untersucht werde - nur um am Montagabend mitteilen zu müssen: wieder falsch. Die Töne seien wohl "biologischen Ursprungs".

Wozu braucht Argentinien im Jahr 2017 überhaupt noch U-Boote?

Ebenfalls am Montag, also mit reichlich Verspätung, gab Balbi bekannt, dass die Besatzung bei ihrem letzten Funkkontakt einen Kurzschluss im Batteriesystem an Bord gemeldet habe. Bis dahin hatte die Marine versucht, die These aufrechtzuerhalten, es könne auch um ein "Kommunikationsproblem" gehen. Die elektrisch angetriebene San Juan war 1983 in Emden vom Stapel gelaufen und ist seit 1985 im Dienst der argentinischen Marine.

Wozu braucht das Land im Jahr 2017 überhaupt noch U-Boote? In einem älteren TV-Bericht führt die 35-jährige Marine-Offizierin Eliana Krawczyk durch das Innere der San Juan. Sie zeigt die Torpedos und den Abschusskontrollraum, den sie als Waffenchefin des U-Bootes verantwortet. Sie ist die einzige Frau unter den 44 vermissten Seeleuten. Im Bericht lässt sie keinen Zweifel, worin ihre Mission besteht: In argentinischen Gewässern patrouillieren und im Kriegsfall Schiffe versenken.

Zu den tragischen Aspekten dieser Geschichte gehört auch: Die ARA San Juan ist in Friedenszeiten verschwunden. Und seither sind vor der argentinischen Küste so viele ausländische Kriegsschiffe und Armeeflugzeuge unterwegs wie seit dem Ende des Falklandkrieges 1982 nicht mehr.

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SZ vom 22.11.2017
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