Süddeutsche Zeitung

Terroranschläge in Belgien:"Dass sich Brüssel in eine solche Hölle verwandeln könnte, schien mir unmöglich"

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Blutende Menschen kamen ihr entgegen, von überall heulten die Sirenen: Teresa Stiens absolviert gerade ein Praktikum in Brüssel. Wie sie den Tag des Terrors erlebt hat. Augenzeugenbericht.

Teresa Stiens absolviert derzeit ein Praktikum im Brüsseler Europaviertel, ihr Büro liegt nur etwa 300 Meter von der Metrostation Maelbeek entfernt. Bevor die 24-jährige Bachelor-Absolventin Ende Januar in die belgische Hauptstadt zog, sagten ihr manche Freunde: "Pass auf dich auf! Geh nicht nach Molenbeek!" Damals fand sie solche Warnungen überzogen. Heute nicht mehr.

"Als ich mich heute Morgen auf den Weg zur Arbeit machte, hörte ich schon von überall die Sirenen von Polizeiautos und Krankenwagen. Ich hatte von den Explosionen am Flughafen gehört, aber als ich mich der Europäischen Blase näherte, wie das EU-Viertel hier genannt wird, wurde mir klar, dass noch mehr passiert sein musste.

Menschen standen auf der Straße und starrten in Richtung der Kommission, in Richtung des Jubelparks, in Richtung der Metrostation Maelbeek. Menschen kamen mir entgegen, eingehüllt in silberne Planen, blutend, aber am Leben. Ich fühlte mich, als wäre ich mitten in die Berichterstattung über die Terroranschläge in Paris gefallen, die ich vor knapp vier Monaten schockiert, aber mit Distanz verfolgt hatte. Jetzt gab es keine Distanz mehr. Diese Leute waren real.

In Brüssel liegen Welten zwischen den Stadtteilen

Ich wusste noch nicht, was passiert war und lief wie in Trance zu dem Gebäude, in dem ich gerade ein Praktikum mache. Ich bin Journalistin und Journalisten funktionieren in solchen Krisensituationen - das hatte ich gelernt. Unsere Straße, die Rue de la Loi, die breit und stolz den Weg zum Arc de Triomphe darstellt war abgesperrt. Polizisten überall, Absperrbänder und Fragen - was war passiert? Gab es Tote? Die traurige Antwort lautete: Ja. Nur 300 Meter von meinem Arbeitsplatz waren an diesem Morgen Menschen gestorben. Menschen, die wie ich heute morgen aufgestanden waren, um zur Arbeit zu fahren, die Pläne hatten, für das Osterwochenende und für den Rest ihres Lebens. Es ist ein Wunder, dass es niemanden aus unserer Redaktion getroffen hat.

Die Verhaftung des meistgesuchten Terroristen Europas am vergangenen Freitag in Molenbeek hatte unter den Brüsselern zwar für verhaltene Erleichterung gesorgt, war aber auch mit einer gewissen Distanz betrachtet worden. Salah Abdeslam hatte mit Paris zu tun und auch mit Molenbeek - aber Molenbeek liegt auf der anderen Seite des Kanals und in Brüssel liegen Welten zwischen den Stadtteilen. Welche Verbindung gibt es schon zwischen dem arabisch geprägten Molenbeek und dem Viertel der internationalen, bürokratischen EU-Institutionen, fragten sich manche. Keine, außer einer Metrolinie.

Jetzt ist es gespenstig ruhig

Es gab Warnungen, es gab den "Brussels lockdown" Ende vergangenen Jahres, die Verhaftung der Terroristen und die Tatsache, dass die Paris-Attentäter aus Brüssel kamen - aber dass mein Brüssel, mit seinen Fritten, seinem Bier und seinen Parties sich tatsächlich in eine solche Hölle verwandeln könnte, das schien mir bis heute Morgen unmöglich.

Jetzt, einige Stunden nach den Anschlägen, ist Brüssel gespenstig ruhig. Als ich durch das Europaviertel lief, kamen mir Leute entgegen - niemand war in Panik, alle waren in Gedanken. Die Sicherheitskräfte warnen vor Menschenansammlungen und raten den Leuten, da zu bleiben, wo sie sind. Es fahren keine Metros, der öffentliche Nahverkehr ist gestoppt. Das rote Kreuz hat zu Blutspenden in den Krankenhäusern aufgerufen. Nur wie man dorthin kommt, das weiß keiner so wirklich.

Dienstag, der 22. März 2016, hätte ein schöner Frühlingstag in der europäischen Hauptstadt werden können. Aber dann kam alles anders."

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