Süddeutsche Zeitung

Stilkritik:Kuchen

Ein Kuchendieb in New York soll eine Edel-Konditorei-Kette um 90 000 US-Dollar erleichtert haben. Eine arglistige, ruchlose Tat, ja - aber irgendwie auch eine süße.

Von Hannes Vollmuth

Es gibt Polizeimeldungen, die mögen sich zwar für die Beteiligten schrecklich anfühlen, lassen diese aber in der Öffentlichkeit in einem besseren Licht erscheinen als zunächst gedacht. Zum Beispiel dieser Kuchendieb in New York, ein Lieferwagenfahrer, der gerade die Edel-Konditorei-Kette "Lady M" um ganze 90 000 US-Dollar erleichtert haben soll. Und zwar, indem er laut New York Post 1020 Kuchen und Torten entwendete, die er in nur vier Monaten verschwinden ließ, um sie wohl weiterzuverkaufen (und nicht zu essen). Darunter Schätze wie "Couronne du Chocolat" (85 US-Dollar) und "Salted Caramel Mille Crêpes" (95 US-Dollar). Eine verabscheuenswürdige Tat, hinterhältig, arglistig und ruchlos. Aber auf eine nicht zu leugnende Art trotzdem, ja: sympathisch. Sofort denkt man an Marie Antoinette, an die nicht weniger ruchlose Königin von Frankreich, die 1793 auf dem Schafott landete, aber der wir (fälschlicherweise) den Satz zuschreiben: "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen." Es gibt so viel zu klauen: Geld zum Beispiel, ein weit praktischeres Diebesgut (leichter zu transportieren, schneller umzutauschen). Oder: Autos, Schmuck, Gemälde. Nicht dieser Dieb! Kuchen, ein von Body-Mass-Index-Diskussionen, Adipositas-Ängsten und Intervallfasten-Geschwafel verunglimpftes Genussgut, hat der Mann zur Beute erkoren. Und Torten. Er schädigte damit ein Unternehmen, das alleine in Manhattan sieben "Boutiquen" betreibt, wozu man natürlich eine komplett neutrale Meinung haben kann, aber auch eine ganz andere. Gut auch, dass sich der Kuchendieb zwei Dutzend Mal von Überwachungskameras filmen ließ, was ihn nicht nur zu einem ruchlosen Kuchendieb macht, sondern auch zu einem selten arglosen Kuchendieb. Irgendwie schon süß.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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