Süddeutsche Zeitung

Provinzposse in Hessen:Das ist der einsamste Spielplatz Deutschlands

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Wipp, wipp, hurra: Im hessischen Nidderau steht auf einer roten Kunststofffläche, eingerahmt von einem Gitterzaun, mutterseelenallein ein Schaukelpferd - das gar kein Pferd ist.

Von Mareen Linnartz

Seit mehr als 40 Jahren designt Günter Beltzig, 79, Spielplätze, berät Städte bei der Gestaltung oder studiert auf anderen Kontinenten die dortigen Spielplatzgepflogenheiten. Stundenlang saß er in all den Jahren auf Spielplätzen, bis besorgte Eltern die Polizei riefen, weil sie es merkwürdig fanden, dass ein Mann, offenkundig allein, ihre Kinder anstarrte. Dabei wollte er nur wissen: Wird die Rutsche benutzt? Und wenn ja, wie? Wer verkrümelt sich in die Holzhäuschen, wo gibt es auch mal eine Prügelei, welche Geräte bleiben immer unbenutzt? Oft ist er in die Hocke gegangen und hat die Spielplatzbesucher gefragt: Was würdest du dir noch hier wünschen?

Mehr als 400 Spielplätze hat er entworfen und ist im Laufe all der Jahre zu vielen Erkenntnissen gekommen, aber nach einem Gespräch mit ihm in Anbetracht des "einsamsten Spielplatzes Deutschlands" bleiben vor allem zwei hängen: "Kinder wollen zusammen spielen", sagt er am Telefon. Und: "Kinder brauchen keine Spielplätze." Sie könnten ja in der Stadt eigentlich überall spielen, auf dem Bürgersteig, auf Treppenstufen, in Hinterhöfen - wenn man sie nur ließe. Es seien die Erwachsenen, die Spielplätze wollen und sie nach ihren Vorstellungen gestalten.

Auch im hessischen Nidderau haben sich Erwachsene einen Ort zum Spielen gewünscht. Örtliche Kita-Gruppen hatten das Anliegen bei der Stadtverwaltung vorgebracht. Dort, so ist zu vermuten, wurde dann nicht weiter bei den Antragstellern nachgefragt, und alles ging seiner behördlichen Wege. Nun steht auf knapp zehn Quadratmetern, eingezäunt und auf hellroten Kunststoffmatten, einsam und allein: ein Schaukelpferd. Beziehungsweise etwas, das wie ein Schaukelpferd aussieht. Werner Christiansen, Bauhofleiter in Nidderau, wird in einem NDR-Fernsehbeitrag nicht müde zu betonen, dass das Tier ein Puma sei. Währenddessen wippt er etwas überdimensioniert auf dem Holztier und versucht, Haltung zu bewahren.

Der Spielplatzdesigner spricht von "Käfighaltung"

An alles wurde gedacht: an die einzuhaltende DIN-Norm (DIN EN 1176), den einzuhaltenden "Fallraum" (2,40 mal 3,50 Meter) und einen angenehm weichen Boden, falls der störrische Puma mal eines der Kinder abwerfen sollte. Zwischen 1500 und 2000 Euro kostete die Installation nach Schätzung des Stadtrates. Nur eines wurde nicht berücksichtigt: Wie mäßig attraktiv solche Pferde, selbst wenn sie sich als Puma tarnen, für Kinder sind, die sich meist ja eh ganz andere Dinge vorstellen, wenn sie so vor sich hinwippen (Motorrad, Delfin, Sternenschweif).

Die Trostlosigkeit von verlassenen "Einzelspielgeräten", wie Schaukelpferde oder eben -pumas im Fachjargon heißen, zwischen Hochhaussiedlungen gehört schon lange zum Stadtbild. Aber nun, befeuert von Berichterstattung und sozialen Medien, haftet Nidderau der Malus an, der Ort mit dem "einsamsten Spielplatz" Deutschlands zu sein. Günter Beltzig, der Spielplatzdesigner, der Spielplätze am liebsten überflüssig machen würde, nennt den dortigen Puma ein "Turngerät", Spielen sei mehr als "hin- und herwippen", maximal zwei Minuten, tippt er, sitze ein Kind da darauf. Er spricht, einmal in Fahrt, gar von "Käfighaltung", und überhaupt: Von einem Spielplatz könne bei dieser Größenordnung nicht die Rede sein, der fange für ihn "bei 200 Quadratmetern" an.

Eine Sichtweise, die der Nidderauer Stadtrat Rainer Vogel von den Grünen sogar teilt, bei der Schaukelpuma-Version handle es sich um keinen "klassischen Spielplatz". Aber so einsam sei er nun auch wieder nicht. Unmittelbar in der Nähe sei eine Grünanlage, das Eiscafé nicht weit, das "Tierchen" sei da eben eines von mehreren Angeboten für Familien. Er habe, sagt er, "schon Kinder darauf sitzen sehen".

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