Süddeutsche Zeitung

Schützenvereine in Westfalen:Ein König, der keiner sein darf

Lesezeit: 3 min

Die Schützenbruderschaft St. Georg im westfälischen Sönnern hat einen sehr beliebten König. Aber er ist kein Christ, sondern Muslim - und das verstößt gegen die Satzung. Jetzt haben die Brüder ein Problem.

Von Felix Hütten und Oliver Klasen

Es kommt nicht oft vor, dass die Schützenbruderschaft St. Georg Sönnern-Pröbsting Krisensitzungen abhalten muss. Doch dieser Tage treffen sich die Schützen in Sönnern, einem kleinen Ort mit 900 Einwohnern, irgendwo zwischen Dortmund und Paderborn, sogar zweimal in höchster Not, um sich zu beraten. Schon am Sonntagabend saß der Vorstand im Schützentreff zusammen, und weil sie keine Lösung für das Problem fanden, müssen sie am Dienstagabend gleich noch einmal tagen. Es geht ausgerechnet um ihren Besten - um Schützenkönig Mithat Gedik.

Gedik, 33, verheiratet, vier Kinder, Niederlassungsleiter bei einem großen Unternehmen und aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr, hat beim Schützenfest Mitte Juli den Vogel abgeschossen. Stolz präsentiert die Bruderschaft auf ihrer Homepage die Bilder von dem "wunderschönen Fest", bei dem auch 35 Grad Hitze die "Partystimmung" unter den etwa 350 Mitgliedern nicht vertreiben konnte.

Doch wenn es nach Paragraf 2 der Satzung der Bruderschaft geht, dann hätte es dieses Fest und einen König Mithat nie geben dürfen. Dort steht unmissverständlich: "Die Schützenbruderschaft St. Georg Sönnern-Pröbsting ist eine Vereinigung von christlichen Menschen". Gedik ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, er hat im Abitur katholische Religion belegt und eine katholische Frau geheiratet, aber er ist nun einmal: Muslim.

Glasklare Statuten

Die Schützen aus Sönnern sind zwar fast alle katholisch, aber auch pragmatisch. Und so war es ihnen beim Fest im Juli ziemlich egal, welcher Glaubensgemeinschaft Mithat Gedik angehört. Pastor Christoph Severin, das geistliche Oberhaupt der traditionell kirchlich geprägten Bruderschaft, sprach in seiner Predigt von "gelebter Integration" - damit war die Sache erledigt.

Doch der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BDHS), der Dachverband, zu dem Gedik und seine Bruderschaft gehören, will einen muslimischen Schützenkönig nicht akzeptieren. Beim Bezirksschützenfest Ende August darf der König aus Sönnern nicht antreten. "In den Statuten steht eben glasklar drin, dass jedes Mitglied der Bruderschaft einer anerkannten christlichen Glaubensgemeinschaft angehören muss", sagt Rolf Nieborg, der Sprecher des BDHS.

Die Schützen aus Sönnern, so der Sprecher, hätten ihre eigene Satzung eben besser lesen müssen. Mithat Gedik hätte demnach gar nicht aufgenommen, geschweige denn Schützenkönig werden dürfen. "Dat is so. Man sollte gewisse Regeln einfach akzeptieren", sagt Nieborg, dem man am Telefon nicht nur seine westfälische Sprachfärbung anhört, sondern auch, dass er sehr viel Wert auf Regeln legt.

Die noch heute gültige Parole: "Für Glaube, Sitte, Heimat"

In der Tat wird Tradition bei den Schützenbruderschaften wichtig genommen. "Sie sind meist noch einen Tick konservativer als Sportschützenvereine", sagt Historikerin Barbara Stambolis, die über Schützenfeste in Westfalen geforscht hat, also exakt in dem Milieu, in dem sich der Streit jetzt abspielt. Entstanden im Mittelalter als Bürgerwehr, um Räuber zu vertreiben, verbanden sich die Bruderschaften im 18. Jahrhundert mit der Kirche. Sie organiserten Feste, pflegten das kulturelle Brauchtum und übernahmen wohltätige Aufgaben. Auf Außenstehende wirkt die aus dieser Zeit stammende, aber noch heute gültige Parole - "für Glaube, Sitte, Heimat" - eher befremdlich. Glaube, Sitte, Heimat, das klingt nach verstaubter Deutschtümelei - und der aktuelle Fall, bei dem Regeln und Rituale sehr starr gehandhabt werden, scheint diese Ansicht zu bestätigen.

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, äußerte bereits sein Unverständnis: "Stets fordert man, dass Muslime sich auch in Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und auch Schützenvereinen beteiligen sollen. Wir haben immer gesagt: Integration ist keine Einbahnstraße. An diesem Beispiel wird wieder klar, was damit gemeint ist."

Wäre es da nicht eine Lösung, die Satzungen einfach zu ändern? Zum Beispiel ein Bekenntnis zu "christlichen Werten", aber nicht explizit die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche zu fordern? "Ich will nicht ausschließen, dass das irgendwann einmal passiert", sagt Verbandssprecher Nieborg. "Aber die katholische Kirche hat auch 500 Jahre gebraucht, um die Lehren von Galileo Galilei zu akzeptieren".

Schützenkönig Gedik, der am Montag nicht zu erreichen war, dauert das zu lange. Er will nicht klein beigeben und seine Königskette, so heißt es in der Lokalzeitung, erst einmal behalten.

Möglicherweise kann er das auch. Denn inzwischen hat sich Ralf Heinrichs, der Bundesgeschäftsführer des Dachverbandes, eingeschaltet. Er gehe davon aus, dass Schützenkönig Gedik "Bestandsschutz" genieße. Eine Teilnahme an übergeordneten Schützenfesten werde jedoch nicht möglich sein.

Thomas Rüter, Gediks Vorgänger als Schützenkönig, berichtet von einer breiten Unterstützung für Gedik: "Wir haben nicht gedacht, dass die Geschichte so einen Wirbel macht. Aber vielleicht ist es an der Zeit, diese Diskussion einmal zu führen."

(Mit Material von dpa)

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2076667
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.