Süddeutsche Zeitung

Reaktionen aus Erfurt:Grauenvoller Rückschlag

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Mit dem Amoklauf in Winnenden werden am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt Erinnerungen wach.

Jens Schneider und Tanjev Schultz

Sofort sind die Bilder wieder da. Die Bilder vom 26. April 2002, dem Tag, als ein früherer Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und dann sich selbst erschoss. "Es ist ein grauenvoller Rückschlag", sagt Christiane Alt, die Direktorin der Schule. Alte Wunden würden wieder aufgerissen. An ihrer Schule steht nun der letzte Jahrgang vor dem Abitur, der damals den Amoklauf erlebte. Unter den Lehrern sind noch viele aus dem Kollegium von damals. Sie hätten jetzt den Wunsch, eng zusammenzurücken und in Ruhe gelassen zu werden. Aber Ruhe wird ihnen nicht gegönnt. Wieder sind Kamerateams vorgefahren, wieder gebe es "einen Belagerungszustand", sagt Christiane Alt. "Aber wir wünschen uns Stille." Am Mittwoch klingelt im Sekretariat unentwegt das Telefon.

"Wir wissen, welch schwere Zeiten ihnen bevorstehen", sagt Alt mit Blick auf Baden-Württemberg. "Eine Schule kann das nur verarbeiten, wenn sie das Gedenken zum Teil ihrer Schulkultur macht." Am Gutenberg-Gymnasium würden an diesem Donnerstag wohl viele Lehrer nicht einfach Unterricht machen, sondern über den Amoklauf sprechen. Auch in der Stadt werden Erinnerungen wach. Auch daran, wie hilflos man sich in einer solchen Situation fühlt, und wie wichtig doch Hilfe ist. Am Mittwochmittag haben die Stadt und das Land den Baden-Württembergern Hilfe angeboten. "Wir haben krisenerfahrene Leute, die in dieser schlimmen Situation helfen können", sagt Erfurts Bürgermeisterin Tamara Thierbach. Sie habe die Entsendung eines vierköpfigen Teams vorgeschlagen.

Kultusminister Bernward Müller wiederum bietet Notfallpsychologen an. In Thüringen hatte nach dem April 2002 eine intensive Debatte über Konsequenzen aus dem Amoklauf eingesetzt. Schnell geändert wurde ein Spezifikum des Schulgesetzes im Land. Es bestimmte, dass ein Schüler, der das Abitur nicht schafft, gar keinen Schulabschluss mehr hat. Nun absolvieren Gymnasiasten in der zehnten Klasse die Prüfung zur Mittleren Reife. Gründlich wurde dann ein Konzept erarbeitet, mit dem Schulleiter und Vertrauenslehrer auf Krisen vorbereitet werden. In jeder Schule gibt es jetzt eine Handreichung dazu. Auch wurden Pläne für die Zusammenarbeit der Behörden in solchen Fällen entwickelt. Seinerzeit gab es Probleme bei der Koordination.

Einige der 25 Schulpsychologen des Landes haben eine traumatherapeutische Ausbildung absolviert. Rektoren werden in Seminaren auf Krisen vorbereitet, zum Beispiel den Umgang mit Unfällen oder Gewalt. Dabei soll auch das Sensorium für mögliche Krisen entwickelt werden, um sie möglichst früh zu erkennen. "Aber das", sagt der Sprecher des Ministeriums, "ist hier ohnehin vorhanden seit dem Gutenberg-Gymnasium."

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SZ vom 12.03.2009/jw
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