Süddeutsche Zeitung

Rätselhafter Fall in Berlin:Jugendlicher lebte angeblich jahrelang im Wald

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Er weiß nicht, woher er kommt, wie er mit Nachnamen heißt und wo sein Vater ist: Nun taucht der Junge bei der Berliner Polizei auf und behauptet, er sei jahrelang auf Wanderschaft gewesen. Interpol soll jetzt seine Identität klären.

Es erinnert an den Fall Kaspar Hauser: Bei der Berliner Polizei ist ein Jugendlicher aufgetaucht, der nach eigenen Angaben jahrelang im Wald lebte. Ein Polizeisprecher bestätigte einen entsprechenden Bericht der Bild-Zeitung.

Der Jugendliche, der Englisch und einige Brocken Deutsch spreche, wisse nichts über seine Herkunft. Die Polizei geht davon aus, dass er kein Deutscher ist. Jetzt werde über Interpol, die europäische Polizeibehörde, versucht, die Identität des Jungen zu klären.

Er heiße Ray und sei 17 Jahre alt, habe der junge Mann gesagt, als er sich am 5. September bei der Polizei meldete. Er sei jahrelang mit seinem Vater in der Natur auf Wanderschaft gewesen, erzählte er dem Bericht zufolge den Polizisten. Vor zwei Wochen habe er seinen Vater tot aufgefunden und dann in eine Grube gelegt. Wo genau, wisse er nicht.

Nach Angaben der Polizei ist der Jugendliche in gutem körperlichen Zustand. Er sei derzeit in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Weil der Junge noch nicht volljährig sei, müsse ein amtlicher Vormund für ihn bestellt werden.

Von Aussteigern und "Waldmenschen"

Der Fall in Berlin erinnert an andere Fälle zuvor. So wurden zum Beispiel zwei junge Franzosen zehn Jahre lang von ihrem Vater in den Pyrenäen versteckt. Der Mann brachte die Söhne 1998 nach einem Besuch nicht zur Mutter zurück, sondern zog mit ihnen in die Berge nahe der spanischen Grenze. Zuletzt lebten die drei in einem Gehöft ohne Strom und fließendes Wasser. Sie hielten Schweine, Ziegen und Kaninchen und lebten von selbst angebautem Gemüse. Nachdem der "Waldmensch" 2009 mit seinen inzwischen 17 und 18 Jahre alten Jungen entdeckt wurde, machte man ihm den Prozess. Er bekam eine milde Bewährungsstrafe, was auch an den Aussagen der Söhne lag: Sie berichteten von einer glücklichen Kindheit, in der es ihnen an nichts gefehlt habe. Ihre Mutter, die jahrelang nach ihnen suchte, hatten sie für tot gehalten.

Auch im dicht besiedelten Deutschland gibt es Rückzugsmöglichkeiten für "Zivilisationsflüchtlinge". Nach Zeitungsberichten über einen "Waldmenschen" an der Mosel wurde 2007 ein 43-jähriger Amerikaner bei Koblenz aufgegriffen - nach vier Jahren in der "Wildnis". Seit 2000 hatte er in Deutschland gelebt, als ihn 2003 die Trennung von seiner Freundin aus der Bahn warf und er sich ohne Wohnsitz, Pass und Aufenthaltsgenehmigung wiederfand. Er zog sich von allen Menschen zurück und hauste als Naturbursche nahe Kobern-Gondorf, abgeschieden im Wald.

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