Prozess nach tödlichem Verkehrsunfall:Fataler Krampf
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Mit mindestens 100 km/h raste der Fiat in die Kreuzung, kollidierte mit einem anderen Auto, überschlug sich - und schleuderte in eine Fußgängergruppe. Ein Jahr nach dem tragischen Unfall in Hamburg mit vier Toten steht nun der Unglücksfahrer vor Gericht. Der Mann ist Epileptiker - doch hatte er tatsächlich einen Anfall? Und wusste er um das Risiko, wenn er sich hinter das Steuer setzt?
Ralf Wiegand, Hamburg
Im Gericht ist an diesem Morgen auch Wanja Mues, ein junger Mann im schwarzen Anzug, dessen Gesicht man aus dem Fernsehen kennt. Ein prominenter Schauspieler. Aber hier und heute, das ist keine Rolle, das ist kein Film, das hört nach 90 Minuten nicht einfach wieder auf. Wanja Mues hat vor ein paar Monaten dem Hamburger Abendblatt gesagt, er brauche diesen Prozess, um irgendwann einen Punkt zu finden, an dem die Sache abgeschlossen sei: "Egal, wie der Schuldspruch ausfällt - wichtig ist, dass irgendeine Form von Gerechtigkeit kommt."
Die Sache, das ist jener fürchterliche Verkehrsunfall vom 12. März 2011, bei dem die Eltern von Wanja Mues, der Schauspieler Dietmar Mues und dessen Frau Sibylle, sowie der Sozialwissenschaftler Günter Amendt und die Künstlerin Angela Kurrer starben.
Vor dem Landgericht in Hamburg begann am Montag die Verhandlung gegen den Fahrer jenes grauen Fiat Punto, der an diesem frühlingshaften Tag vor einem Jahr, nachmittags um Viertel vor fünf, mit mindestens 100 km/h auf der Gegenfahrbahn bei Rot in die Kreuzung Eppendorfer Landstraße/Eppendorfer Baum raste, dort mit einem VW Golf kollidierte, sich überschlug, auf den Fußweg schleuderte - und vier Menschen tötete, die dort zufällig standen.
Zwei drängende Fragen
Angeklagt ist Cäsar Alexander S., 39, der fahrlässigen Tötung in vier Fällen, der fahrlässigen Körperverletzung in drei Fällen sowie der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs. Die Verhandlung wird schwierig werden: S. ist Epileptiker. Womöglich hatte er einen Anfall, als er die Katastrophe von Eppendorf auslöste.
28 Zeugen und vier Gutachter wird das Gericht in den nächsten Wochen anhören müssen, um die beiden zentralen Fragen zu klären. Die erste Frage lautet: Hatte Cäsar Alexander S. tatsächlich einen epileptischen Anfall an jenem 12. März?
Schon in den Jahren zuvor war der Angeklagte in mehrere schwere Verkehrsunfälle verwickelt; die Staatsanwaltschaft will nachweisen, dass auch dabei die Epilepsie eine Rolle gespielt hat. Am Unfallort allerdings soll der Unglücksfahrer keine Anzeichen eines solchen Anfalls gezeigt haben; Zeugen sollen aufklären, ob er sich eigenartig benommen habe.
Die zweite Frage aber ist noch viel schwerwiegender: War S. das Risiko bewusst, das er einging, wenn er Auto fuhr?
Falls er tatsächlich wegen eines solchen Krankheitsschubs die Kontrolle über sein Auto verloren hätte, trüge er am eigentlichen Unfallhergang keine Schuld. Die Staatsanwaltschaft baut ihre Klage aber auf der Annahme auf, dass S. bei Fahrtantritt damit hatte rechnen müssen, einen Anfall zu erleiden. Dann hätte er in Kauf genommen, dass ein von ihm gelenktes Auto plötzlich führerlos würde in dem Moment, wo bei ihm ein Krampf ausbricht. Dann drohten ihm als Höchststrafe fünf Jahre Haft.
Spuren von THC im Blut
Der Angeklagte hatte im Lauf der Ermittlungen angegeben, das Unfallgeschehen sei für ihn unvorhersehbar gewesen. Auch in der Vergangenheit hatte diese Argumentation bei Gericht schon verfangen, das Landgericht Kiel etwa gab ihm im Februar 2009 seinen Führerschein zurück, der nach einem Unfall im November 2008 eingezogen worden war. Begründung: Der Anfall sei nicht vorhersehbar gewesen. Es könnte also auch passieren, dass S. straffrei ausgeht.
Dass sich in seinem Blut Spuren von THC fanden, die auf den Konsum von Drogen schließen lassen, spielt für die Staatsanwaltschaft keine Rolle: Damit lasse sich das Unfallgeschehen nicht erklären.
Die Erklärungen sucht nun das Landgericht. Zu Beginn nennt der Angeklagte mit fester Stimme Name, Geburtsdatum, Geburtsort - und schweigt ab dann. Auch seine behandelnden Ärzte entbindet er nicht von der Schweigepflicht. Als die Richterin das Polizeivideo vom Tatort zeigen lässt, eine moderne 3D-Laseraufnahme aus verschiedenen Positionen, starrt S. vor sich hin.
Der Zeitung Die Welt hatte der Angeklagte gesagt, er würde "alles tun, um es ungeschehen zu machen". Wanja Mues und seine Brüder Woody und Jona, im Prozess Nebenkläger, haben dergleichen vom Angeklagten nie gehört. Monatelang hatten sie auf irgendein Zeichen gewartet. "Man hätte mehr innere Ruhe, wenn man wüsste, der andere sieht, dass es schlimm ist", sagte Wanja Mues. Das Zeichen kam nicht, jetzt warten sie auf ein Urteil. Es soll im Mai fallen.