Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Oscar Pistorius:"Jeder wurde zum Rechtsexperten, jeder zum Ermittler"

Lesezeit: 3 min

Er hat keinen Verhandlungstag versäumt und die Welt fast im Minutentakt über den Mordprozess gegen Oscar Pistorius informiert: Mit SZ.de spricht Journalist Barry Bateman über seine Sicht auf einen Fall, der wohl ein ewiges Rätsel bleiben wird.

Von Lena Jakat

Fast eine Viertelmillion Menschen haben den Prozess gegen den südafrikanischen Sprinter Oscar Pistorius anhand der 140-Zeichen-Nachrichten von @barrybateman verfolgt: Der Journalist arbeitet für den südafrikanischen Nachrichtensender EWN und hat keinen einzigen der 41 Verhandlungstage versäumt. Tweet um Tweet berichtete er aus dem Gerichtssaal des High Court von Pretoria. Oscar Pistorius' Tat hat so in den vergangenen eineinhalb Jahren auch sein Leben mitbestimmt.

Süddeutsche.de: Herr Bateman, haben Sie nicht langsam genug von dem Fall?

Barry Bateman: Überhaupt nicht. Dazu war die Faszination zu groß, die von diesem Prozess ausging - er hat mich genauso wie viele andere gefesselt. Das Verfahren war für uns in Südafrika ohne Beispiel was den Promi-Faktor und die internationale Aufmerksamkeit angeht. Der Fall enthält alle Elemente einer großen Kriminalgeschichte. Neben der Berühmtheit ist da die persönliche Geschichte - Oscars Kampf, sein ehrgeiziger Weg bis an die Weltspitze, trotz seiner Behinderung. Drittens die Liebesgeschichte zwischen zwei attraktiven jungen Menschen. Und schließlich die tödlichen Schüsse. Alle Aspekte abgehakt, wie im Lehrbuch.

Welches Kapitel der Geschichte erhielt die meiste Aufmerksamkeit?

Der Höhepunkt war zweifellos Oscars Aussage vor Gericht. Die dramatische Eröffnung - seine Entschuldigung bei Reeva Steenkamps Familie - trug er in mattem Tonfall vor. Diese leise Stimmlage sollte seine gesamte Aussage über andauern. Als er dann schilderte, wie er sich vor dem Eindringling fürchtete, wie er seine Waffe holte und wie er schließlich Reeva erschoss und völlig zusammenbrach: Das war ein Oscar Pistorius, den die Welt noch nie gesehen hatte. Das hat alle umgehauen.

Alle?

In Südafrika war der Fall ständig in den Schlagzeilen, überall wird darüber diskutiert. Bei der Arbeit, zuhause, mit Freunden. Dass der Prozess so sehr zum Teil der öffentlichen Debatte wurde, lag daran, dass er live übertragen wurde. Die Berichterstattung war umfassend wie nie zuvor. Die Menschen verfolgten den Prozess im Fernsehen, fast wie einen Krimi. Jeder wurde zum Rechtsexperten, jeder wurde zum Ermittler, hatte seinen eigenen Überzeugungen. Welcher Zeuge sagt die Wahrheit? Ging der Staatsanwalt Oscar im Kreuzverhör zu hart an?

Spielte dabei eine Rolle, dass der Angeklagte zur kleinen weißen, reichen Oberschicht Südafrikas gehört?

Ja, dieser Vorbehalt schwingt immer mit. Die öffentliche Wahrnehmung ist, dass weiße, reiche Menschen hier mit allem davonkommen. Ich glaube, dass dieser Umstand vom Gericht angemessen bedacht wurde. Niemand kann behaupten, dass Oscar im Prozess irgendwelche Vorteile gewährt wurden. Das Verfahren wurde außergewöhnlich gut geführt.

Anders die Ermittlungen. Die Polizisten haben sich vor allem anfangs nicht mit Ruhm bekleckert. Der leitende Ermittler trampelte ohne Überschuhe am Tatort herum, in den Stunden nach der Tat verschwanden einige teure Uhr aus Pistorius' Haus.

Da gab es in der Tat erhebliche Vorwürfe. In Südafrika sind wir an solche Pannen gewöhnt, aber diesmal war es für die Polizei schon sehr peinlich, sie gerieten aus den falschen Gründen ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Die Polizei stellte dann bald eine Elitetruppe für die Ermittlungen zusammen und konnte sich meiner Meinung nach rehabilitieren. Und das Verfahren sendete sogar sehr positive Signale.

Welche?

Die Geschwindigkeit! Ich habe selten erlebt, dass ein Fall binnen eines Jahres vor Gericht gebracht und dann vor Ablauf eines weiteren Jahres abgeschlossen war. Dieser Prozess zeigt, dass das möglich ist, wenn der Wille da ist.

Ein Wille, der sonst fehlt?

Die südafrikanischen Behörden sind fürchterlich überlastet. Nicht so sehr die Gerichte selbst -vielmehr die Ermittler. An einem beliebigen Tag hat ein Kriminalpolizist vielleicht 100 Fälle auf dem Schreibtisch liegen. Viele Prozesse können nicht beginnen, weil die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, die Akten noch bei der Polizei liegen. Da fehlt es an Kapazitäten und Kompetenzen. Ein Mangel, dessen sich die Behörden zwar bewusst sind, trotzdem muss noch viel getan werden.

Am Donnerstag fällt das Urteil. In wenigen Wochen soll Ihr Buch über den Fall erscheinen.

Schon am Montag soll es in Druck gehen - leider kann ich Ihnen noch nicht sagen, wie es ausgeht. Und was passiert ist, werden wir wohl nie sicher wissen. Dieses ewige Rätsel, dieses Mysterium, macht ja den Reiz des Falls aus: Zwei Menschen gehen in ein Haus. Nur einer von ihnen kommt lebend wieder heraus.

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