Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht Bielefeld:Mordanschlag mit Pausenbrot

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Von Jana Stegemann, Bielefeld

In Ostwestfalen schmieren sich die Menschen für die Arbeit noch gerne eine Stulle. Brot, Butter, Belag - vielleicht noch garniert mit einer Gurkenscheibe oder einem Tomatenschnitz. Wenig Schnickschnack, viel Substanz, ordentlich verpackt in, na klar, einer Tupperbox. Ausgerechnet der so beliebte wie gewöhnliche Pausensnack spielt nun die Hauptrolle in einem Kriminalfall, der den Ort Schloß Holte-Stukenbrock, 20 Kilometer von Bielefeld entfernt, in diesem Frühjahr in die überregionale Berichterstattung katapultierte.

In der ostwestfälischen 27 000-Einwohner-Stadt im Kreis Gütersloh soll ein Mann über Jahre die Pausenbrote seiner Arbeitskollegen vergiftet haben. Wegen versuchten Mordes in mehreren Fällen an drei Arbeitskollegen muss sich der 57-jährige Klaus O. von heute an vor dem Landgericht Bielefeld verantworten. Dem zweifachen Familienvater soll es laut Anklage auch darum gegangen sein, "zu sehen, wie seine Kollegen vor seinen Augen langsam an körperlichem Wohlbefinden einbüßen und aufgrund der Art der Vergiftung Schmerzen und Qualen erleiden".

O. sieht deutlich jünger aus als er tatsächlich ist. Im Beisein der Wachtmeister schlurft er fast wie ein Jugendlicher in einem weiten dunklen Pulli in den Gerichtssaal. Sein schmales bärtiges Gesicht mit der runden Brille bleibt während der Anklageverlesung durch den Staatsanwalt ohne sichtbare Regung. O. sitzt unbeteiligt zwischen seinen beiden Anwälten, so als ginge in dieser Prozess nichts an.

38 Jahre lang arbeitete O. in der Firma "Ari Armaturen", Abteilung Werkzeugbau. In Schloß Holte-Stukenbrock mit 800 Mitarbeitern ist der Armaturenhersteller ein wichtiger Arbeitgeber. Schlosser O. war kein beliebter Kollege, mittels Kopfhörern soll er sich stets vom sozialen Teil des Firmenalltags abgeschottet haben. Der Firmensprecher sagte nach seiner Verhaftung, O. sei 38 Jahre "auffällig unauffällig" gewesen, anfangs sei man innerhalb des Betriebs daher von einem missglückten Scherz unter Kollegen ausgegangen - keinen Mordversuchen.

Giftopfer B. arbeitete 30 Jahre lang eng zusammen mit Klaus O., er sagte der Bild-Zeitung: "Er blieb immer für sich, sprach nicht und hatte keine Freunde. Ich hatte mit Klaus kein Problem und habe akzeptiert, dass er keine Kontakte wollte. Streit gab es nie." Im April 2018 versagten plötzlich B.s Nieren. Seitdem muss B. dreimal die Woche zur Dialyse, keiner kann ihm sagen, ob er jemals wieder gesund wird. Ärztlich attestiert ist bei ihm Nierenversagen und eine Niereninsuffizienz. B. sagte: "Mein Pausenbrot lag immer in einer Tupperdose auf dem Tisch." Unbeaufsichtigt. O. soll seinen Vorarbeiter zuvor laut Anklage bei fünf Gelegenheiten so schwer vergiftet haben, dass dieser mehrfach wegen Blutarmut, Magenkrämpfen und Magenblutungen stationär behandelt werden musste.

Ein junger Arbeitskollege von O. bekam im Sommer 2016 plötzlich eine schwere Quecksilbervergiftung - obwohl er nie mit dem giftigen Schwermetall gearbeitet hatte. Weder die Polizei noch Arbeitsschutzexperten der Bezirksregierung Detmold hatten die Ursache seiner Vergiftung ausmachen können. Der heute 29-Jährige liegt noch immer im Koma, sein Gehirn erlitt schwere Schäden. Auch für diesen Giftanschlag soll laut Anklage O. verantwortlich sein.

Ein dritter Kollege musste mehrmals wegen heftiger Vergiftungserscheinungen stationär im Krankenhaus behandelt werden. Er sitzt O. im Gericht als Nebenkläger gegenüber, seine Verachtung für O. ist dem jungen Mann körperlich anzusehen. O.s Giftanschläge auf Kollegen fielen erst auf, als dieser 26-jähriger Kollege ein verdächtiges Pulver - hochgiftiges Bleiacetat - auf seinem mitgebrachtem Pausenbrot bemerkte. Er alarmierte seine Vorgesetzten. In Absprache mit dem Betriebsrat ließ die Geschäftsführung eine Überwachungskamera installieren. O. wurde schließlich überführt, als er sich an Rucksack und Brotdose eines Kollegen zu schaffen machte und giftiges Pulver auf dessen Stulle streute. Er wurde verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Eine eigens eingerichtete Mordkommission entdeckte in O.s Haus in Bielefeld-Senne eine Art Giftlabor, in dem der Angeklagte seine Substanzen wohl zusammenmischte. Die Ermittler fanden unter anderem Quecksilber, Blei und Kadmium. Alle drei Substanzen können je nach Dosierung und Häufigkeit der Einnahme zu schweren Organschäden und zum Tod führen.

Die Polizei hatte nach O.s Festnahme gezielt Krankheits- und Todesfälle in dem Unternehmen der vergangenen Jahrzehnte untersucht und 21 Verdachtsfälle gefunden. Klaus O. schweigt bisher zu den Vorwürfen und seinem Motiv. Am 26. November wird der Prozess fortgesetzt.

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