Süddeutsche Zeitung

Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko:Im Meer der Zerstörung

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Das Desaster der Deepwater Horizon ist fünf Mal schlimmer als vermutet: Während die US-Regierung die Ölpest zur nationalen Katastrophe erklärt, tobt der Streit um die Schuld an der Havarie.

Christian Wernicke

Bei Rob Canty, dem Garnelenfischer, dürfte die Katastrophe an Land gehen. Oder drüben am Dock von Peace Marvel, wo die feineren Charterboote für die reichen Hochseefischer im Wasser dümpeln. Auf jeden Fall wird es zuerst Venice treffen, diesen etwas heruntergekommenen Weiler an der Mündung des Mississippi. Hier, gut hundert Kilometer südöstlich von New Orleans, hat der mächtige Strom mit all seinem Sand eine Idylle ins Meer gebaut. Und genau hier, bei Rob und Peace, wird jene orange-braune, klebrige Brühe anlanden, die als Ölpest nun Amerikas halbe Golfküste bedroht.

Für Rob Canty, den 31-jährigen Fischer, geht es um die schiere Existenz. Er habe, so sagt er, "keinen Plan B". Ihm bleibt nur die Isaac James, sein alter Kahn. Mit dem hat er bisher jede Krise gestemmt: "Wenn keine Shrimps da waren, bin ich eben auf Austern gegangen. Oder umgekehrt."

Selbst Katrina, der Horror-Hurrikan von 2005, hat ihn nicht unterkriegen können. Diesmal aber lauert Schlimmeres. Denn der riesige Ölteppich, der am Donnerstag auf Venice zutrieb, dürfte alles Leben gleichzeitig zerstören: Garnelen und Austern, Krabben wie Krebse. Und es wird Jahre dauern, ehe sich das fragile Ökosystem der Salzwassersümpfe an der Küste von Louisiana und Mississippi von dieser Katastrophe völlig erholen wird.

Am Freitag, so prophezeien die Meteorologen, wird das Öl da sein. Verzweifelt versucht die US-Küstenwache, mit schwimmenden Barrieren aus Plastik einige Teile der zerklüfteten Küste zu schützen. 30 Kilometer dieser leuchtend orangefarbenen Schläuche sind verlegt, weitere 150 Kilometer liegen bereit. Nur, am Wochenende drohen starke Böen aus Südwest. Und hohe Wellen. Ob die Not-Barrieren dann überall halten oder ob die eklige Brühe nicht einfach überschwappt - niemand weiß es.

Noch schlimmer als der Wetterbericht ist die Nachricht, die in der Nacht zum Donnerstag Konteradmiral Mary Landry verbreiten muss. Die schneidige, stets bitterernst dreinschauende Offizierin der Coast Guard ist Chefin des gesamten Noteinsatzes. Und nun blickt sie noch ein wenig düsterer in die Kameras, da sie "neueste Erkenntnisse" von jenem Bohrloch achtzig Kilometer vor der Küste verbreitet, das die Quelle allen Unglücks ist: Nicht, wie bisher geglaubt, etwa eintausend Barrel Rohöl, sondern in Wahrheit 5000 Barrel strömen täglich ins Meer. Das Desaster der Deepwater Horizon, der vor einer Woche explodierten und gesunkenen Bohrinsel, ist fünf Mal schlimmer als vermutet. Am Mittwoch erklärt die Regierung die Ölpest zur "nationalen Katastrophe", sogar Schiffe der Navy beteiligen sich an den Hilfsarbeiten.

BP bangt ums Image

Auch deshalb äußert sich der Ölkonzern BP nun klarer denn je zu dem Unfall. Schuld trage allein die Firma "Transocean", von der BP die Bohrplattform geleast hatte. Tony Hayward, der Konzernchef persönlich, hält dem in der Schweiz ansässigen Sub-Unternehmer vor, aus bisher ungeklärter Ursache habe vor sieben Tagen 1500 Meter tief am Meeresgrund ein Großventil versagt, das das Bohrloch eigentlich hätte abdichten sollen: "Die Verantwortung für die Sicherheit lag bei Transocean." Die Schweizer wollten sich zu den neuen Vorhaltungen zunächst nicht äußern.

BP bangt um sein Image. Also ordert der Multi schweres Gerät. Eine zweite Bohrinsel soll beginnen, ein zweites, entlastendes Loch in dasselbe Ölfeld zu bohren. Aber das kann Monate dauern. Schnellere Hilfe verspricht jene riesige Kuppel, die den Unglücksort unter Wasser abdecken soll. Weil niemand weiß, ob diese Methode in solch' großer (und finsterer) Tiefe gelingt, wird nun über Wasser eilig improvisiert: Kutter mit 150 bis 200 Meter langen feuerfesten Plastikschläuchen im Schlepptau reißen kleine Fetzen aus dem Ölteppich, ehe das Ölgemisch angezündet und abgefackelt wird.

Umweltschützer warnen, dies könne zu massiver Luftverschmutzung führen. Zudem würden Teerklumpen auf den Meeresboden sinken. Doch solange der Wind die See aufpeitscht, ist das Abfackeln ohnehin unmöglich. Schon hat BP ein Unternehmen angeheuert, das mit Feuerwerken Tausende Vögel aus den Salzwassermarschen vertreiben soll.

In Venice wartet Rob Canty stoisch auf die Ölpest. Und Peace Marvel, der Bootsverleiher, flüchtet sich nach vorn - nach draußen aufs Meer: "Das Frühjahr ist nun wohl verloren", sagt er. Im Sommer aber müsse er seinen Kunden wieder Hai, Barrakuda und Thunfisch vor die Angel holen: "Sonst bin ich pleite."

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