Süddeutsche Zeitung

NRW:Gutachter hält geplante Übergriffe in Kölner Silvesternacht für unwahrscheinlich

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Nach der Kölner Silvesternacht gingen bei der Polizei etwa 1200 Strafanzeigen ein. War es ein geplanter, kollektiver Übergriff? Oder kam es spontan zu Überfällen und sexuellen Belästigungen? Der für die Vorfälle zuständige Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags beauftragte Rudolf Egg damit, die Strafanzeigen zu analysieren, um so der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Egg ist Psychologe und Kriminologe und war von 1997 bis 2014 Leiter der Kriminologischen Zentralstelle des Bundes und der Länder. Die Ergebnisse seines Gutachtens liegen der SZ vor.

Egg kommt zum Schluss, dass es sich zumeist um "überfallartige sexuelle Belästigungen und Eigentumsdelikte" handelte. 46,5 Prozent der Fälle seien Eigentumsdelikte, 29,6 Prozent Sexualdelikte und 17,2 Prozent eine Kombination aus beidem. Bei den kombinierten Taten reichen die Angaben der Opfer demnach nicht aus, um festzustellen, ob das primäre Motiv der Tat ein sexuelles war, oder die Sexualstraftat lediglich Mittel zum Zweck war.

Opfer waren bei den Eigentumsdelikten "überwiegend" Frauen (63,3 Prozent), "bei den Sexualdelikten ausschließlich". Diese erlebten das Geschehen in und um den Kölner Hauptbahnhof demnach "meist als sehr bedrohlich und beängstigend". Viele der Opfer hätten das Gefühl "des Ausgeliefertseins gegenüber den vielen Tätern" als besonders schlimm erlebt.

Mehrere Hundert Männer - mutmaßlich aus nordafrikanischen Ländern beziehungsweise dem arabischen Raum - hatten sich in der Nähe des Bahnhofs versammelt. Aus dieser großen Gruppe heraus wurden die Straftaten begangen.

Auf die Frage, inwieweit dieses Zusammentreffen verabredet war, darauf kann Egg aus den Strafanzeigen keine eindeutigen Schlüsse ziehen. Er schreibt selbst: "Woher sollten die Geschädigten auch wissen, weshalb sich diese Männer dort versammelt hatten?" Für denkbar hält Egg "eine Art Mundpropaganda in Flüchtlingsheimen" oder auch Verabredungen über soziale Netzwerke.

Straftaten aus der Anonymität heraus

Egg vermutet außerdem, dass die Mehrzahl der Teilnehmer nicht mit der festen Absicht anreiste, um dort massenhaft Sexual- und Eigentumsdelikte zu begehen. Ein geplantes Vorgehen, also eine Verabredung zu den Straftaten, hält Egg aus "kriminologischer Sicht" für "äußerst unwahrscheinlich".

Zu den massenhaften Übergriffen kam es laut Egg erst, nachdem die Männer bemerkt hätten, dass die zu Beginn verübten vereinzelten Straftaten ohne Konsequenzen blieben. Der Gutachter verweist auf die "Broken-Windows-Theorie", wonach die Hemmschwelle für Straftaten dann absinkt, wenn sie aus der Anonymität begangen werden können und eine Strafverfolgung nicht zu erwarten ist. In Köln sei am Silvesterabend "eine Art rechtsfreier Raum" entstanden, heißt es in dem Text.

Laut Egg stand die Frage nach der Art der begangenen Straftaten und das eventuell organisierte Vorgehen der Täter im Zentrum seiner Arbeit. Er weist in seiner Schlussfolgerung jedoch darauf hin, dass "eine erschöpfende kriminologische Analyse des Tatgeschehens" ausschließlich auf der Grundlage der ausgewerteten Strafanzeigen nicht geleistet werden könne. Deswegen will Egg seine Resultate "als hypothesenartige vorläufige Antworten" verstanden wissen.

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