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Das Ungeheuer von Loch Ness:Alles Monster oder was?

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"Nessie" ist das berühmteste Phantom der Welt - und bis heute unauffindbar. Schon im sechsten Jahrhundert gab es Berichte über ein gefährliches Ungetüm.

Von Florian Welle

Rund zwei Drittel Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Doch auch wenn der Mensch seit Jahrhunderten versucht, den Meeren ihre Geheimnisse zu entreißen, wissen wir immer noch sehr wenig darüber, was sich unter der Wasseroberfläche abspielt oder verbirgt. So fantasiert der Mensch seit je von Monstern, die aus der Tiefe kommen. Ängstlich einerseits. Fasziniert andererseits.

Fast jeder Kontinent hat sein Meer- oder Seeungeheuer. In Kanada etwa lebt im Okanagan-See angeblich das schlangenähnliche "Ogopogo"-Ungetüm. Am bekanntesten aber ist gewiss das Monster von Loch Ness. Um keine andere Kreatur ranken sich so viele Theorien, keine andere wurde über einen so langen Zeitraum gestalkt.

Längst gehört Nessie, wie sie von zahllosen, sogar in einem Fanklub organisierten, Anhängern liebevoll genannt wird, zur Populärkultur: Zum Beispiel mit "Das Geheimnis von Loch Ness" im Kino. Auch der ganze "Simpsons"-Clan fliegt in einer Folge in die Highlands, um sich auf die Suche zu begeben, und schüttet dabei das Kind mit dem Bade aus. Will heißen: Um das Tier zu finden, wird der Loch Ness komplett ausgepumpt. Am Ende stoßen Homer & Co. auf ein knuffiges Vieh aus Plastik. Dann aber taucht das wahre Monster aus dem Hintergrund auf . . .

Schon im sechsten Jahrhundert gibt es erste Berichte über ein gefährliches Ungetüm

In der Realität würde ein Absaugen des Wassers nicht funktionieren. Der oft nebelverhangene See erstreckt sich über die stolze Länge von 37 Kilometern und ist 230 Meter tief. Damit führt er als zweittiefster See Schottlands doppelt so viel Wasser wie der ungefähr gleich große Starnberger See. Hinzu kommt, dass das Wasser eiskalt und sehr dunkel ist.

Dies alles zusammen macht überhaupt erst erklärbar, dass das vermutete Ungeheuer trotz vieler Expeditionen, die sich seit den Sechzigerjahren auf die Suche begeben haben, bis heute nicht aufgespürt werden konnte. So lebt der Mythos weiter fort, auch wenn ihm aller Wahrscheinlichkeit nach jede Grundlage fehlt.

Was Steve Feltham, der ins Guinness-Buch der Rekorde Eingang gefunden hat als der Mann, der die längste Zeit am Stück nach dem Wesen Ausschau gehalten hat (seit nunmehr 26 Jahren), sicherlich bestreiten würde. "Das Rätsel ist nicht gelöst", äußerte er vor zwei Jahren gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er hält seine jüngste Theorie, es handle sich bei Nessie um einen riesigen Wels, für die plausibelste.

Erstmals aber wird das Monster im sechsten Jahrhundert erwähnt. Damals soll, der Legende nach, der Missionar Columban einen Schwimmer vor einem brüllenden Untier gerettet haben. Über die Jahrhunderte gaben Einwohner immer mal wieder an, etwas Verdächtiges würde sich im See aufhalten. Doch richtig los mit dem Nessie-Fieber ging es erst im 20. Jahrhundert. Genauer gesagt: 1933.

Da hat das Ehepaar Mackay angeblich etwas Buckliges gesichtet, das sich durch den See schlängelte. Der Inverness Courier griff die Geschichte auf: "Das Ungeheuer tauchte über eine Minute lang auf. Sein Körper glich dem eines Wales." Die Geburtsstunde von Nessie. Als ein Jahr später das Tier auf Fotopapier gebannt werden konnte, war der Hype kaum zu bremsen. Auf dem grobkörnigen Bild von 1934 sieht man eine reptilienartige Kreatur mit langem Hals und kleinem Kopf.

Fortan war für viele klar: Hier muss eine Art Seeschlange aus der Urgeschichte überlebt haben. Etwa ein Plesiosaurier, ein bis zu 15 Meter langer Räuber, der im Erdmittelalter lebte. Naturgemäß spricht jedoch einiges dagegen: zum Beispiel, dass ein so großes Tier in einem nährstoffarmen Gewässer wie Loch Ness schlicht verhungern würde. Auch müsste es eine Population geben, die das Überleben gesichert hätte. Tatsache ist: Seit der Veröffentlichung des Fotos wollen über 1000 Leute ein prähistorisches Ungeheuer beobachtet haben.

Expeditionen von Kryptozoologen haben wiederholt versucht, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Von 1962 bis 1972 wurde gar ein Loch-Ness-Forschungszentrum ins Leben gerufen. Mal ließ man Taucher hinab, mal baute man Käfige, mit denen man Nessie fangen wollte. Die "Operation Deepscan" versuchte 1987 mit Sonargeräten, dem Ungeheuer auf die Spur zu kommen. Letztlich vergebens: Nessie zierte sich noch jedes Mal.

Doch hat man mittlerweile herausgefunden, dass die Aufnahme von 1934 eine Fälschung ist. Der Großwildjäger Marmaduke Wetherell ließ sich von seinem Stiefsohn ein Dino-Monster basteln und setzte es kurzerhand auf ein Spielzeug-U-Boot. Schon war das Motiv für den Schnappschuss fertig. Heute kursieren diverse entmystifizierende Erklärungen. So verwies der Paläontologe Neil Clark darauf, dass 1933 Zirkusbetriebe in den Highlands gastierten, die ihre Elefanten in Loch Ness baden ließen. In der Dämmerung könne man diese für ein Monster halten.

Jüngere Sichtungen hält Adrian Shine, einer der besten Kenner des Ortes, auch für Sinnestäuschungen. Immer wieder finden etwa Seehunde in den See, der über den Fluss Ness mit dem Meer verbunden ist. Auch Treibgut oder Lichtreflexionen könnten zu Verwechslungen führen. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Nessie-Jäger sehen, was sie sehen wollen.

"Vielleicht ist das nun gerade der Reiz des Hochlands. Das Geheimnisvolle - die Tatsache, dass Dinge geschehen, die wir nicht erklären können", sagt die Hauptfigur Lettie im Buch "Rätsel um Loch Ness" und fährt fort: "Warum nicht nachgeben und die unerklärlich-geheimnisvolle Atmosphäre sogar genießen?" Übrigens: Bei "Rätsel um Loch Ness" der Niederländerin Tonny Vos-Dahmen von Buchholz handelt es sich um ein Kinderbuch.

Dieser Text erschien erstmals in der SZ vom 05.08.2017.

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