Süddeutsche Zeitung

Nachbarschaft:Der Tor hinter der Tür

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In Passau klaut eine Frau einem Mann von nebenan einen Schuh - nicht der einzige Fall kurioser Nachbarschaftsstreitereien.

Von Moritz Geier

Notruf bei der Passauer Polizei, ein Mann ruft an, sein Schuh ist weg. Tatort der Geschichte ist ein Mehrfamilienhaus, von zwei Sportschuhen ist nur noch einer da. In der Polizeimeldung kann man nachlesen, wie es weiterging: "In Verdacht geriet eine 66 Jahre alte Nachbarin", steht da, sie habe schließlich zugegeben, "den fehlenden Schuh in ihrem Besitz" zu haben. Und: "Erst nach polizeilicher Aufforderung" habe sie den Schuh wieder ausgehändigt.

Über die Hintergründe ist leider nichts bekannt, zu gerne wüsste man ja genauer, was die Polizei mit dem "vorangegangenen Nachbarschaftsstreit" meint, mit dem sie jenen oben dargelegten "Eklat" begründet. Aber "Nachbarschaftsstreit" ist eben hierzulande schon etwas, was als Begründung für einen Nachbarschaftsstreit völlig auszureichen scheint. Die gepflegte kuriose Nachbarschaftseskapade gehört halt zum Land wie das Schnitzel und der Lauterbach. Und jetzt haben Pandemie und Home-Office die Spannungen womöglich noch verschärft.

Darf man öffentlich behaupten, dass ein Käseladen stinkt?

Dem anderen den Schuh wegnehmen, das ist natürlich trotzdem großer Käse. Ob von Letzterem eine Geruchsbelästigung ausgeht, das ist wiederum eine ganz andere Frage, über die man sich vorzüglich streiten kann. Den Vorwurf, es stinke, wollte jedenfalls ein Kasladenbesitzer aus dem bayerischen Bad Heilbrunn vor ein paar Jahren nicht auf sich sitzen lassen, ein Gericht aber entschied im Sinne der freien Meinungsäußerung: Die Nachbarin dürfe weiterhin sagen, dass sie es, Zitat Gericht, "als stinkend" empfinde.

So feinfühlig geht's nicht immer zu, und derlei Stänkereien sind für die Beteiligten in den allermeisten Fällen natürlich gar nicht lustig. Vermutlich sterben sogar mehr Menschen an Nachbarschaftsstreitigkeiten als an Haiangriffen. Aber wie viel Zeit Gerichte mit geringfügigen Beschwerden über lärmende Kuhglocken, gackernde Hühner, fliegende Bälle und klimpernde Klaviere zubringen müssen - man möchte es lieber gar nicht wissen. Klar ist jedenfalls, wie in der SZ schon 1998 zu lesen war: "Ein Gartenzwerg, der mit heruntergelassenen Hosen im Vorgarten steht und seinen blanken Hintern in Richtung nachbarliches Anwesen streckt, ist strafrechtlich nicht zu fassen."

Ist ja Gott sei Dank auch die Ausnahme, dass der streitlustige Nachbar im Zuge der Kriegsführung eine Maschine baut, die - mit Zeitschaltuhr und Elektromotor ausgerüstet - an einer Holzkonstruktion ein Hämmerchen betätigt und damit in zuvor eingestellten Intervallen ein derart lautes Klacken verursacht, dass der Nachbar es im ganzen Hause hören kann, wie einst im bayerischen Geretsried geschehen.

Ja, mancher mag da schon einen Terroristen erkennen im eigenen Nachbarn. Aber falls es dann wirklich einer ist, muss es ja auch nicht gleich so ausarten wie im Hollywood-Streifen "Arlington Road" zwischen den von Jeff Bridges und Tim Robbins gespielten Charakteren. Nicht jeder Terrorist baut gleich eine Bombe. Oder eine Klopfmaschine.

Tatsächlich gäbe es auch noch die nachbarschaftliche Möglichkeit der friedlichen Koexistenz, man muss nur eine gesunde Balance finden zwischen Nähe und Distanz. Denn es stimmt ja schon, was Schiller seinen Wilhelm Tell sagen ließ: "Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben / Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt."

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