Süddeutsche Zeitung

Musikbranche:Kunst und Wirklichkeit

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In Hagen beginnt der Berufungsprozess gegen den Rapper Jigzaw, der mit einer Machete einen Mann niedergestochen haben soll und von Kollegah gefördert wird.

Von Christian Wernicke, Hagen

Warum er drinnen vor Gericht still und leise dabei ist, das sagt Kollegah während einer Prozesspause draußen in die Kamera. Laut und deutlich: "Bestellt Euch das Album vor - Post Mortem", ruft der Skandal-Rapper den Zuschauern von RTL zu. "Einfach geil", so preist der mit dem Musikpreis Echo geehrte Kollegah ("mein Körper ist definierter als der von Auschwitz-Insassen") das, was sein junger Kollege und kommerzieller Ziehsohn Jigzaw da produziert habe.

Jigzaw, Kollegahs Zögling, steht daneben und nickt eifrig. Das Album kommt am 31. August auf den Markt - genau einen Tag nach dem Datum, an dem Landgericht Hagen sein Urteil sprechen will über diesen deutsch-türkischen, skandalfreudigen Rapper. Die Hagener Richter werden entscheiden, ob er als "Jigzaw" weiterhin wild und frei sprechsingen darf - oder ob der 25-jährige, mehrfach Vorbestrafte unter seinem bürgerlichen Namen Nuhsan C. wegen lebensgefährlicher Körperverletzung hinter Gitter muss.

Im Frühjahr hatte das Amtsgericht den Rapper in erster Instanz zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nun erlebt Hagen - per Berufung - ein zweites, größeres Schauspiel: Denn mittlerweile hat der nicht minder skandalfreudige Kollegah (der Echo wurde nach der Protestwelle infolge seiner Auszeichnung abgeschafft) Jigzaw unter Vertrag genommen. 40 000 Euro bezahlte Kollegah Anfang Juni nach eigenen Angaben "aus der Portokasse", um seinen jungen Kollegen per Kaution aus der Untersuchungshaft zu holen. Und Jigzaw lernt schnell, wie er Mitte Juli bewies: Da legte er den Verkehr seiner Heimatstadt Hagen mit der Ankündigung lahm, auf offener Straße ein paar T-Shirts an seine Fans zu verschenken. 400 meist jugendliche Idole rannten dem weißen Smart des Rappers hinterher.

Auch an diesem Mittwochmorgen sind einige Dutzend Fans gekommen, um Jigzaw alias Nuhsan C. von einer Tankstelle hinüber ins Gericht zu begleiten. Dort sitzt der junge Rapper mit dem gegelten Haar später etwas nervös zwischen seinen beiden Verteidigern. Die Bizepse spannen unter seinem weißen Hemd. Seine Aussage hat er bereits vor Prozessbeginn gemacht, per Video im Internet: Nur aus Notwehr habe er im Juli 2017 seine Machete gezogen und einen 25-jährigen Polen niedergestochen. Der offenbar stark alkoholisierte Mann habe ihn zuvor mit einem Messer bedroht. "Wäre ich ein Bastard, hätte ich ihm den Kopf abgeschnitten," erläutert Jigzaw auf Youtube. "Ich hab mich nur gewehrt."

Ahmet T. und Justin D. glauben ihm. "Wir sind Fans", sagen sie, "und Jigzaw kommt von hier, er ist einer von uns." Die beiden Freunde sitzen hinten im Gerichtssaal, zwei Reihen hinter Kollegah, der zwar zu spät gekommen ist, für den aber ein Fan in der ersten Pause bruderhaft auf seinen Platz verzichtet. Die Wahrheitssuche im stickigen Gerichtssaal ermüdet den 34-Jährigen allerdings: Kollegahs Augenlider senken sich.

Verpasst hat Kollegah die Version von der Tat, die Patryk B. erzählt, laut erster Instanz das mutmaßliche Opfer. Selbstverständlich taucht darin kein eigenes Messer auf, aber auch an diverse andere Details mag er sich nicht erinnern. B. hatte damals 2,0 Promille Alkohol im Blut, dazu viel-leicht Drogen. Plus eine nicht eben gewaltfreie Vorgeschichte. Hasserfüllt blicken sich die beiden Männer an, Aussage steht gegen Aussage, das Urteil auf der Kippe. Der Angeklagte hat's begriffen. Deshalb distanziert sich Nuhsan C. sogar von seinem Alter Ego, dem Wortprotz aus dem Netz: "Das bin ich nicht, Jigzaw ist eine fiktive Person, die meiner Familie Brot bringt." Ein Job also, der C. seinen Traum erfüllen soll. Er will raus, weg von hier: "Hagen ist ein Loch."

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SZ vom 16.08.2018
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