Süddeutsche Zeitung

Musik und Lärm:Tätärätä

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In Hamburg wird zurzeit viel Getöse um die neue Elbphilharmonie veranstaltet. Dabei geht ein bisschen verloren, dass es beim Hören auch auf die leisen Töne ankommt. Ein Festival hat den Blick aufs Wesentliche gelenkt.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Ein seltsames Röhren dringt aus Studio E in den Gemächern der Laeisz-Halle. Es klingt wie der Morgengruß eines heiseren Elefanten, brüchig, abgerissen, laut. Aber das macht nichts, denn dieses Geräusch ist die Musik einer ersten Begegnung beim Festival des Hörens der Symphoniker Hamburg. Beim Instrumenten-Ausprobier-Workshop "Jung für Jung" hat Hinnerk, 13, Trompeter vom Felix Mendelssohn Jugendsinfonieorchester, einem kleinen Jungen den Mechanismus einer Kornett erklärt. Der Junge bläst hinein, die Mutter lacht, und auch wenn der Ton noch schräg klang, ist Hinnerk angetan von dem Kindkollegen. "Ich könnte mir vorstellen, dass er wirklich anfängt, das zu üben."

Jeder Orchesterauftritt ist eine Demonstration gegen den plumpen Lärm der Populisten

Das Hören ist gerade ein großes Thema in Hamburg. Im Januar findet das Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie statt und damit auch so etwas wie der letzte Akt einer Selbstkrönung. Das elegante Konzerthaus ist das Symbol des neuen Hamburger Anspruchs, Deutschlands herausragende Musikstadt zu sein. Die ganze Welt soll sehen, dass es an der Elbe nicht nur Schiffshörner zu hören gibt. Um das bekannt zu machen, hat die Stadt zehn Millionen Euro zusätzlich ins Marketing investiert. Nur um Kultur geht es dabei nicht. Hamburg wollte ein neues Wahrzeichen, weil der Michel für globale Aufmerksamkeit eben doch etwas zu schwach leuchtet. Außerdem ist das Geschäft mit dem Zuhören einträglich. In einem Standpunkte-Papier lobt die Handelskammer die Musikindustrie für 17 000 Arbeitsplätze, eine Milliarde Wertschöpfung und Image-Effekte: "Die Förderung der Musik ist deshalb auch unmittelbar Wirtschaftsförderung."

Aber natürlich geht der Wert der Kultur über das Zählbare hinaus. Genau damit hat sich das Festival des Hörens beschäftigt, das am Samstag und Sonntag in der Laeiszhalle stattfand. Die Laeiszhalle, zwischen 1904 und 1908 mit Geld aus dem Erbe des Reeders Carl Laeisz erbaut, ist mehr als 100 Jahre lang Hamburgs wichtigste Musikhalle gewesen. Jetzt soll sie niemand vergessen neben der neuerbauten Schwester. Und dafür arbeiten die Hamburger Symphoniker, die das neue Residenz-Orchester der Laeiszhalle sind, weil das NDR-Orchester in die Elbphilharmonie zieht.

Wie gibt man einem Konzerthaus Profil? Indem man die Musik in den Zusammenhang der anderen Geräusche dieser Welt setzt und zu verstehen versucht, was sie bedeutet. "Orchester und Publikum begnügen sich oft damit, dass man einen Beethoven spielt, und dann ist gut", sagt Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel. Ihm reicht das nicht. Er sieht das Musikhören als einen Akt der Kommunikation und des Innehaltens in Zeiten des Tempos und der Reizüberflutung. Es ist eine komplexe Arbeit, eine Sinfonie zum Klingen zu bringen - jeder Orchester-Auftritt ist so gesehen eine Demonstration gegen den plumpen Lärm der Populisten. Und Olaf Dittmann, Pressesprecher der Symphoniker, nimmt das Programmheft zum Festival des Hörens, um darin mit Kugelschreiber einen Satz zu unterstreichen: "Die Symphoniker Hamburg verstehen sich als denkendes Orchester. Wir finden: Ein Orchester muss sich einmischen in den öffentlichen Diskurs - musikalisch, agil, aktiv."

Deshalb ist am Samstag beim Festival des Hörens der 13-jährige Hinnerk als Kornett-Lehrer zum Einsatz gekommen. Deshalb gab es am Samstagabend einen Symphonic Slam, einen Künstler-Wettstreit, zwischen Dichtern und Kammermusikern. Deshalb konnten die Besucher Vorträge, Klanginstallationen und Filme erleben, die sich mit den verschiedenen Dimensionen des Hörens beschäftigten. Auch um neue Zuhörer für den Konzertbetrieb zu gewinnen? Intendant Kühnel sieht das als Randaspekt. Er ist überzeugt davon, dass Musik die Welt verbessert, und die geladenen Experten gaben ihm natürlich recht. Für die Pädagogin Barbara Stiller sind klassische Konzerte eine Schule des Zuhörens. Zuhören wiederum, richtiges Zuhören, nicht nur flüchtiges Hinhören, "erlaubt es uns, am kulturellen, gesellschaftlichen Leben teilzunehmen". Und der Musik-Mediziner Bernhard Richter sagte: "Singen stärkt das Immunsystem." Weshalb er dem Publikum mehrere Lieder pro Tag verschrieb: "Mit Kindern unbedingt viel singen."

Am Sonntagabend spielten die Symphoniker dann Bruckners Achte, ein mächtiges Kunstwerk, das Ohren und Geist sehr beschäftigt. Zuhören kann ein vielfältiges Erlebnis sein, beim Getöse um die Elbphilharmonie kommt das manchmal zu kurz. Daniel Kühnel findet das okay nach den vielen Jahren mit Kostenexplosionen und Frust rund ums Konzerthaus. "Dass man jetzt eröffnet und Feuerwerk hat, ist nicht schlimm", sagt er, "schlimm wäre es, wenn es in fünf Jahren immer noch so wäre."

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SZ vom 06.12.2016
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