Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Es steht ein Zug im Nirgendwo

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Ein SZ-Autor bleibt mit der Deutschen Bahn im Schnee stecken, Lokdown, ein Ersatzzug muss her. Wie gut, dass die Schaffnerin ein paar Tipps auf Lager hat. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten im ...Nirgendwo

Seit zwei Stunden steht unser ICE auf dem Weg nach Berlin im Schnee. Angeblich ist Erfurt nicht weit, aber so wie es draußen aussieht, könnten wir auch auf den Aleuten sein. Erst verbreitete die Zugbegleiterin noch den branchenüblichen Zweckoptimismus: "Kleine Störung, geht bald weiter." Doch inzwischen wissen alle, dass es zum Äußersten gekommen ist: Lokdown. Wir müssen auf einen Ersatzzug warten. Während sich eine Rentnergruppe mit Sekt betrinkt, gratuliert uns die Bahn-App schon mal zur Ankunft ("Willkommen am Ziel"). Beim Umsteigen gibt es Tipps von der Zugbegleiterin: "Sie dürfen gleich über die Evakuierungstreppe herabsteigen in den Schnee. Erwärmen Sie schon mal die Armmuskulatur, wenn Sie schweres Gepäck haben." Nach elf Stunden Fahrt kommt der Zug doch noch in Berlin an - dafür fühlen wir uns ziemlich neben der Spur. Fabrice Braun

Mitten in ... München

Gefliester Boden, hohe Decke, Menschen in Anzügen hinter den Schaltern. In der Mitte des Raums stehen rote Sessel, die dem ganzen wohl einen Lounge-Charakter verleihen sollen, aber wir sind trotzdem einfach nur in einer Bank: Der Teenager-Sohn braucht einen Online-Zugang für sein Konto und eine Unterschrift des Vaters oder der Mutter. An einem Automaten ziehen wir einen Zettel für einen Termin, machen es uns in einem dieser Sitzmöbel bequem und schauen gelangweilt auf einen Bildschirm. Merkwürdig! Da stehen gar keine Nummern. Nur Symbole. Ein Vogel. Eine Burg. Eine Frau mit Laptop kommt auf uns zu: "Haben Sie den Hasen?" Der Sohn schaut auf das Papier, nickt. Eine Kollegin unterbricht: "Moment, der Geldsack ist vorher dran." "Ich habe geschaut, der scheint verschwunden zu sein." Ein Glück, dass wir nicht schon davongehoppelt waren. Mareen Linnartz

Mitten in ... Tokio

Weihnachten in Japan ist nicht sehr authentisch. Verständlich, im Land des Shintoismus pflegt man andere Bräuche. Aber dieser Kitsch hier hat was: Die Allee am Yoyogi-Park ist mit dichten Lichterketten verkleidet. Vor dem schwarzen Nachthimmel sehen die Bäume aus wie blau verschneite Riesen. Am Ende der Allee können Passantinnen und Passanten über einen Laptop Botschaften in Leuchtfarben auf eine große Anzeigetafel malen. Das Interesse ist rege. Es entstehen Weihnachtsbäume, Herzen, Merry-Christmas-Wünsche. Nur einer denkt an etwas anderes. Auf der Tafel wächst zitternd ein W, ein O, ein R. Wenig später steht da: "World Cup 2022." Daneben eine japanische Fahne. Japans Gruppensieg vor Spanien und Deutschland bei der Fußball-Weltmeisterschaft war ja auch wirklich ein tolles Weihnachtsgeschenk. Thomas Hahn

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