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Vatikan:Die Kirche will "dem Monster in die Augen schauen"

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Der Interims-Pressesprecher des Vatikan wählte große Worte, um die Pressekonferenz zu eröffnen, die über die von Papst Franziskus initiierte Konferenz zu sexuellem Missbrauch in der Kirche informieren sollte. "Es bedarf der Anstrengung aller, um diesem Monster in die Augen zu schauen", sagte Alessandro Gisotti, bevor er das Wort an die anderen Anwesenden weitergab. Es soll nicht nur um eine kritische Selbstbetrachtung der größten Religionsgemeinschaft der Welt gehen. Bei dem Treffen sollen vielmehr auch Handlungsanweisungen an Kirchenvertreter erarbeitet werden, um mit neu auftretenden Missbrauchsfällen richtig umzugehen, vor allem aber, um solche Fälle überhaupt zu verhindern.

Bischof Charles Cicluna erläuterte die Ziele für die Konferenz: "Die Betonung der Verantwortung der Kirche, die Rechenschaftspflicht für Missbrauchsfälle und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit." Die Kirche müsse "wieder zu dem sicheren Ort werden, der sie schon immer sein sollte." Im Rahmen der Konferenz diskutiert die Kirche nicht nur über ihre Haltung, es soll auch Treffen mit Opfern geben.

Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat zuvor die Vorbereitungen für die Konferenz kritisiert. Es seien weder die Daten noch das "Know-how" der Glaubenskongregation, die für Missbrauchsfälle zuständig ist, abgefragt worden, noch die päpstliche Kinderschutzkommission konsultiert worden. "Ich hoffe, dass es anderweitig gelingt, wissenschaftliche Standards einzuhalten", sagte der ehemalige Chef der Glaubenskongregation der Deutschen Presse-Agentur.

"Man verspielt die Chance eines Neuanfangs, wenn man sich in vagen und verallgemeinerten Schuldzuweisungen an "die" Kirche oder "die" Priester aus der Affäre zieht", betonte Müller. Die wahren Ursachen für Missbrauch von Kindern seien unter anderem "im Niedergang des priesterlichen Ethos in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts" und in der Nichtbeachtung des sechsten Gebotes - du sollst nicht Ehebrechen - zu finden.

Müller sieht die katholische Kirche unter Generalverdacht gestellt. "Das mediale Interesse richtet sich derzeit fast nur auf die katholische Kirche." Missbrauch komme aber in allen gesellschaftlichen Gruppen vor - sowohl bei verheirateten als auch bei unverheirateten Menschen. Der Zölibat - also die Ehelosigkeit von Priestern - trage nicht zu Missbrauch bei.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn erhofft sich von dem zusammenkunft der Kirchenvorderren "weltweit gleiche Standards in der katholischen Kirche" beim Kampf gegen sexuelle Gewalt. "Nur wenn allen bewusst ist, was Missbrauch ist, warum es dazu kommt und was dagegen zu tun ist, können wir weltweit gemeinsame Standards einführen", sagte Schönborn der österreichischen Presseagentur Kathpress. Überall auf der Welt müsse der Grundsatz gelten, "dass die Opfer an erster Stelle stehen und nicht die Institution bzw. der Ruf der Institution". Es gelte, "den Opfern eine Stimme zu geben".

Schönborn wies darauf hin, dass der Vatikan schon unter Papst Benedikt XVI. präzise Regeln zum Umgang mit Missbrauch gesetzt habe, die längst alle Bischofskonferenz hätten umsetzen müssen. In Österreich sei man diesen Weg mit Entschiedenheit gegangen, so der Kardinal. Dies sei jedoch in vielen Ländern der Welt noch nicht der Fall. "Papst Franziskus möchte deshalb nicht nur einen gemeinsamen Bewusstseinsstand erreichen, sondern dass die Umsetzung der klaren und auch sehr strengen Richtlinien auch wirklich von allen ernst genommen wird", so Schönborn.

Missbrauchsopfer werfen Bischöfen Ignoranz vor

Opfer von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche werfen vor Beginn der Konferenz den Bischöfen Ignoranz gegenüber ihren Schicksalen vor. Die Bischöfe müssten aufhören, sich angesichts von Missbrauch ahnungslos zu geben, sagte der Koordinator von Missbrauchsopfern, der Chilene Juan Carlos Cruz, der Nachrichtenagentur AP. Er hoffe auf einen konstruktiven und offenen Dialog bei der Bischofsversammlung.

Er hoffe, dass die Botschaft der Opfer ankomme, sagte Cruz. Es dürfe keinerlei Nachsicht geben. "Ein Kind oder eine gefährdete Person zu vergewaltigen und zu missbrauchen, ist falsch seit dem 1. Jahrhundert, dem Mittelalter und jetzt", fügte er hinzu. "Es gibt vollstreckbare Gesetze in der Kirche, nicht nur die zu bestrafen, die Missbrauch begangen haben, sondern auch jene, die ihn vertuschen. Egal welchen Rang sie in der Kirche haben, sie müssen bezahlen.

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