Süddeutsche Zeitung

Mexiko:Die Lotterie des Präsidenten

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In Mexiko ist die Verlosung des Präsidentenflugzeugs zu Ende gegangen. Wobei, um das Flugzeug ging es dabei eigentlich nur peripher.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Je komplizierter die Zeiten, desto größer die Erfolgschancen einfacher Symbole. Kaum jemand weiß das vermutlich besser als Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador, der - der Einfachheit halber - auch AMLO genannt wird. Wollte man nun nach einem Symbol für seine Symbolpolitik suchen, landete man schnell bei jener Lotterie, die diesen Dienstagnachmittag nach mehr als einem halben Jahr Vorlauf in Mexiko-Stadt ihr Ende fand.

Offiziell trug sie den Namen "Gran Sorteo Especial FotoNúmero 235", im Volksmund aber hieß sie nur "Verlosung des Präsidentenflugzeugs", was natürlich einfacher ist, aber auch irreführend, wurde doch Bargeld verlost und kein Luxusflieger. Spätestens hier ist man dann auch bei dem Problem, das sich bei Symbolpolitik immer stellt, ganz besonders aber bei der des mexikanischen Präsidenten: Viel zu komplex sind die Probleme des Landes, als dass man sie mit ein paar einfachen Handgriffen lösen könnte.

Kampf gegen die Elite

Dabei hatte AMLO schon im Wahlkampf 2018 versprochen, Gewalt und Korruption zu bekämpfen und endlich Schluss zu machen mit der Herrschaft einer abgehobenen Elite, die sich selbst bereichert, während das Volk darbt. Wie genau er das bewerkstelligen wollte, das verriet der Politiker nicht, und heute, fast zwei Jahre später, liegt Mexiko auf dem weltweiten Korruptionsindex immer noch hinter Dschibuti und der Elfenbeinküste. Jeden Tag werden im Schnitt 100 Menschen getötet. 2020 könnte das mörderischste Jahr werden in der ohnehin schon sehr blutigen Geschichte des Landes.

Umso wichtiger also, dass AMLO zumindest in einem Punkt Erfolg hat: Dem Kampf gegen die Elite. Und weil auch das einfacher gesagt ist als getan, hat AMLO sich ein Symbol gesucht: Das Präsidentenflugzeug.

2012 hatte sein Vor-Vorgänger die Maschine vom Typ Boeing 787-8 Dreamliner für rund 114 Millionen Dollar gekauft. Danach wurde sie noch einmal für fast ebenso viel Geld umgebaut. Es gibt ein voll ausgestattetes Badezimmer, ein Trainingslaufband, ein Schlafzimmer mit Doppelbett und ein Büro. 2016 wurde der Luxusflieger ausgeliefert und von da an für Staatsbesuche verwendet, wohl aber auch für private Ausflüge der Präsidentenfamilie. Solche und ähnliche Skandale stürzten den früheren Staatschef Enrique Peña Nieto in ein Umfragetief. Viele Mexikaner hatten die Schnauze voll von ihren Politikern, und da kam AMLO, ein vermeintlicher Außenseiter, der versprach, er werde alles anders machen.

Kein Käufer, stattdessen steigende Standgebühren

In jenen Luxusflieger seiner Vorgänger, zum Beispiel, wolle er keinen Fuß setzen, sagte AMLO. Er werde nur Linienflüge nehmen und die Boeing 787-8 verkaufen. Zwei Tage nach seinem Amtsantritt am 1. Dezember 2018 hob die Präsidentenmaschine dann tatsächlich ab in Richtung USA, ohne AMLO, dafür aber mit dem Ziel, einen Käufer zu finden. Interessenten gab es durchaus, keiner aber griff zu, gleichzeitig stiegen die Standgebühren für den Hangar und die Instandhaltungskosten.

Anfang 2020 holte AMLO die Maschine zähneknirschend wieder zurück nach Mexiko und erklärte, er spiele jetzt mit dem Gedanken, den Flieger zu verlosen. Was folgte, war eine Lawine aus Witzen im Netz, und AMLO musste klarstellen, dass nicht das Flugzeug selbst der Gewinn war, sondern 100 Bargeldpreise die zusammen so viel wert waren wie der Flieger, umgerechnet also 80 Millionen Euro. Der Erlös der Lotterie sollte dabei Krankenhäusern zugutekommen.

Im März startete der Verkauf der Lose, allerdings schleppender, als erhofft. Der Preis mit 500 Peso, umgerechnet etwa 20 Euro, war hoch, die Zeiten schwierig. Nach einem Vierteljahr war nicht einmal die Hälfte der Lose verkauft. Der Staat sprang ein und kaufte Scheine im Wert von 24 Millionen Dollar, die er dann an Krankenhäuser verteilte, mit der Auflage, etwaige Gewinne auch wieder für die Behandlung von Patienten auszugeben. Eine Farce, fanden viele Mexikaner: Wieso nicht gleich den Hospitälern mehr Geld geben, statt ein solches Spektakel zu veranstalten?

Immer größer wurde die Kritik, und als nun am Dienstagnachmittag in einer rund dreistündigen Zeremonie die 100 Gewinner ausgelost wurden, war vielleicht auch AMLO froh, dass der ganze Spuk vorbei war. Wie viel durch die Lotterie eingenommen wurde, ist noch nicht bekannt, genauso wenig weiß man, ob eines oder mehrere Krankenhäuser unter den Gewinnern sind.

Das Präsidentenflugzeug selbst steht derweil weiterhin in einem Hangar, unbenutzt, und wartet auf einen Käufer.

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