Süddeutsche Zeitung

Online-Shop:Die Wohnung vollmachen mit Marie Kondo

Lesezeit: 2 min

Die japanische Aufräum-Trainerin wurde berühmt, weil sie Menschen beibringt, wie sie überflüssige Dinge loswerden. Jetzt bietet sie Einrichtungs-Accessoires an. Wer denkt, das sei ein Widerspruch, liegt falsch.

Von Oliver Klasen

Was ist passiert?

Die japanische Aufräumtrainerin Marie Kondo, die dafür berühmt ist, Menschen beizubringen, wie sie Dinge loswerden, hat einen Online-Shop eröffnet. Es gibt vor allem Einrichtungsgegenstände zu kaufen, säuberlich unterteilt in sieben Kategorien. In der Rubrik "Decor & Living" erhältlich: eine Stimmgabel mit roséfarbenem Quarzstein für umgerechnet 70 Euro oder ein goldenes Windlicht für 77 Euro. Wer "Bath Essentials" anklickt, findet Leder-Hausschuhe für 185 Euro sowie eine Holz-Nagelbürste für 16 Euro (derzeit leider vergriffen).

Was ist die Vorgeschichte?

Schränke ausmisten, Ordnung schaffen, sich auf das Wesentliche konzentrieren und dadurch frei werden, das ist die kondosche Philosophie. Um im Sinne der 35-Jährigen glücklich zu werden, gab es bisher allein zwei Pfade der Erkenntnis - einen sehr günstigen und einen sehr teuren. Man konnte das Buch "Magic Clenaning" kaufen, inzwischen als Taschenbuch schon für weniger als 10 Euro zu haben, und all die darin enthaltenen Tipps studieren, um sich von überflüssigen Dingen zu trennen. Oder man konnte ein Seminar bei der Meisterin persönlich oder einer der mehr als 300 weltweit aktiven KonMariConsultants buchen, also bei den Schülerinnen und Schülern. Kosten: leicht mehrere hundert bis Tausende Euro, je nach Aufwand und Erfahrung der Consultants, die je nach absolvierten "tidying hours" in sechs Hierarchiestufen eingeteilt sind. Mit dem Online-Shop hat Marie Kondo jetzt ihr Portfolio erweitert.

Was sagen die Kritiker?

Eigentlich klingt es wie ein Widerspruch. Marie Kondo bietet in ihrem Shop Dinge an, mit denen sich der durch mühevolles Ausmisten geschaffene Platz mühelos wieder füllen lässt. Das ist auch einigen Twitter-Usern aufgefallen.

Wie ist es wirklich?

Hat die Aufräumphilosophin sich inspirieren lassen und das Werk ihres französischen Kollegen Albert Camus gelesen, der einmal schrieb: "Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen"? Hat sie vielleicht auch mal bei dem österreichischen Ökonomen Josef A. Schumpeter reingeguckt, der das Konzept der schöpferischen Zerstörung ersann, die moderne kapitalistische Gesellschaften erst überlebensfähig mache? Oder hat sie Georg Friedrich Wilhelm Hegel adaptiert und hofft jetzt, in dialektischer Vollendung aus dem Widerspruch etwas Positives ableiten zu können?

Alles denkbar, aber unwahrscheinlich. Marie Kondo braucht keine Einflüsse von außen, man muss nur ihr Werk richtig lesen. Die philosophische Aufladung des Aufräumens, das dank Marie Kondo nicht mehr Mühsal, sondern Befreiung ist, ist nur die eine Seite. Der andere Teil der Kondo-Lehre besagt: "Das Ziel des Aufräumes sei es nicht bloß, "Dinge los zu werden", sondern die "Sensibilität zu erhöhen, für Dinge, die Freude entfachen" und "Raum zu schaffen, für Objekte, Menschen und Erfahrungen mit Bedeutung".

Nun, für Menschen und Erfahrungen mit Bedeutung müssen die Jünger der Kondo-Bewegung schon selbst sorgen. Aber Objekte mit Bedeutung, da kann die Meisterin gerne aushelfen. Mehr als 100 Dinge, die "Freude entfachen", sind im Shop erhältlich. Und wessen Freude ist bitteschön nicht entfacht, wenn er eine neue Wasserkaraffe für gut 90 Euro ersteht, in die ein Kristall eingearbeitet ist, der das Wasser und einen selbst stets in optimaler mentaler Balance hält?

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