Süddeutsche Zeitung

Mannheim:Was, bitte schön, macht ein Nachtbürgermeister?

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Nach dem Vorbild von Amsterdam hat jetzt auch Mannheim einen "Night Mayor", einen Nachtbürgermeister. Er soll zwischen genervten Anwohnern und Clubbetreibern vermitteln.

Von Fabian Busch

Ein Blitzer ist 60 Zentimeter breit, Hendrik Meier hat das schon ausgemessen. Am Luisenring, der die Mannheimer Innenstadt vom Ausgehviertel Jungbusch trennt, sei jedenfalls an einigen Stellen Platz dafür. Der Blitzer soll dort den gefährlichen nächtlichen Verkehr entschleunigen und könnte für den 27-Jährigen so etwas wie ein Prestigeprojekt werden. Ein Ausrufezeichen für seine Amtszeit.

Am 6. August muss Hendrik Meier seine Masterarbeit abgeben. Schon am 1. August will er aber sein neues Amt antreten - als erster Nachtbürgermeister in Deutschland. In Mannheim soll er damit mehrere Rollen auf einmal ausfüllen: Vermittler und Problemlöser, Lobbyist der Gastronomen und Clubbetreiber, Ansprechpartner für genervte Anwohner. Damit reiht sich Mannheim in die Riege von Metropolen wie Amsterdam, Paris und New York ein, die schon Nachtbürgermeister haben. Die Industriestadt an Rhein und Neckar ist überregional zwar nicht gerade als Partyhochburg bekannt. Das zu ändern, ist ebenfalls die Aufgabe von Hendrik Meier.

Mannheim sieht sich als Kultur- und Kreativstadt, der griffige Titel eines "Night Mayors" passt da gut ins Konzept. Trotzdem gehe es nicht in erster Linie um Imagepflege, sagt Matthias Rauch, der bei der städtischen Start-Up-Förderung für kulturelle Stadtentwicklung zuständig ist. Ihm soll der neue Bürgermeister "berichten", wie es im Behördendeutsch heißt. "Er soll die Nachtkultur und die Nachtökonomie stärken, aber auch früh zur Vermeidung von Konflikten beitragen", sagt Rauch. Zum Beispiel im Jungbusch.

Anwohner klagen über Lärm und Dreck, Clubbetreiber über zu strenge Auflagen

Das frühere Rotlichtviertel neben dem Binnenhafen besteht nur aus ein paar Straßen, doch dort prallen die Gegensätze moderner Großstädte aufeinander. Eine umgebaute Industriemühle mit Loft-Wohnungen steht gegenüber von Gründerzeithäusern, in denen zum Teil Migranten in prekären Verhältnissen leben. Abends und nachts füllen sich die Straßen mit jungen wie älteren Nachtschwärmern.

In Mannheim wie anderswo in Deutschland bildet sich ein Spannungsfeld, wenn Menschen die Nacht zum Tag machen: Anwohner klagen über Lärm und Dreck, Clubbetreiber über zu strenge Auflagen. Längst beschäftigen diese Themen auch Politiker. In München wird ebenfalls über einen Nachtbürgermeister diskutiert. Berlin stellt eine Million Euro für den Schallschutz bereit, der Verein "Clubcommission" soll in der Bundeshauptstadt die Interessen des Nachtlebens vertreten.

In Mannheim hat die Start-Up-Förderung der Stadt die Stelle gemeinsam mit einem Verband von Clubbetreibern ausgeschrieben. Das Interesse war groß: Mehr als 40 Bewerber gab es, Hendrik Meier setzte sich bei einer öffentlichen Wahl in einem Nachtclub durch - nach einer Kombination aus Zuschauer- und Jury-Votum. Sein fast abgeschlossenes Studium im Fach Musik- und Kreativindustrie absolviert der gebürtige Nürnberger an der Popakademie, der einzigen staatlichen Hochschule in Deutschland, die sich allein der populären Musik widmet. Jetzt ist er ein Bürgermeister mit Hipster-Zopf und Jutebeutel. An seiner Amtskette, die ihm am Donnerstagabend feierlich umgehängt wurde, baumelt eine Schallplatte.

Nur 50 Stunden pro Monat werden bezahlt

Das Wahlprogramm klingt fast bürgerlich: Neben den Rasern ärgert Meier sich über Glasscherben auf den Straßen und will Pfandkisten aufstellen lassen. Bars sollen kostenlos Trinkwasser ausschenken, außerdem schwebt ihm ein günstiges Nachtticket für Busse und Bahnen vor. "Damit man auch auf den ÖPNV abgeht", sagt er. Meier will auch leerstehende Geschäftsräume als Kulturflächen aufwerten.

Die Mittel in dem neuen Job sind aber eher begrenzt. 50 Stunden pro Monat werden bezahlt, knapp 1200 Euro sind dafür vorgesehen. Meier bekommt einen Arbeitsplatz, Dienstrechner und Diensthandy. Aber keinen Mitarbeiterstab, kein eigenes Budget. Zumindest noch nicht. Die "Amtszeit" läuft zunächst bis Ende 2019 - eine Testphase, die durchaus verlängert werden könnte, sagt Matthias Rauch. Aber was bringt ein Nachtbürgermeister? Anruf bei Mirik Milan, der dieses Amt von 2012 bis 2017 in Amsterdam ausfüllte.

Einer seiner größten Erfolge: Zehn Nachtclubs am Stadtrand dürfen jetzt 24 Stunden am Tag öffnen. Das habe die Ausgehzeiten entzerrt, den Lärm verringert, die Entwicklung der Stadtviertel beschleunigt. 2014 gründete er eine gemeinnützige Organisation, die die Bürgermeisterarbeit auf ein breiteres Fundament stellte. Sein Tipp für den neuen Kollegen in Deutschland? "Als erstes musst du Vertrauen aufbauen und dafür sorgen, dass dich jeder kennt", sagt Milan. "Die Leute müssen als erstes an den Nachtbürgermeister denken, wenn sie ein Problem haben."

Daran arbeitet Meier nun. Noch bevor er die Sache mit dem Blitzer angeht, will er sich Visitenkarten zulegen, Flyer verteilen, Hände schütteln. Das Bürgermeisterhafte steht ihm schon ganz gut. "Mir fehlen die Worte", sagte er nach seiner Wahl - und hatte dann doch auf jede Frage eine Antwort. Er verspricht: "Ich habe richtig Bock auf die Sache hier."

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Quelle:
SZ vom 21.07.2018
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