Süddeutsche Zeitung

Nachtkultur in Mannheim:"Es ist wichtig, dass es eine Person aus der Szene ist"

Lesezeit: 3 min

Mannheim hat seit einem Jahr den ersten Nachtbürgermeister Deutschlands. Jetzt veranstaltet die Stadt eine Nachtkultur-Konferenz. Was wird dort besprochen? Ein Gespräch mit dem Leiter der Stadtentwicklung.

Interview von Oliver Klasen

Mannheim hat 320 000 Einwohner, eine Innenstadt, in der es keine Straßennamen, sondern Planquadrate gibt, einen zwischenzeitlich abgestürzten, aber wieder erstarkten Fußballverein und seit etwas mehr als einem Jahr den ersten Nachtbürgermeister Deutschlands: Hendrik Meier. Die Quadratestadt will Vorreiter bei der Musik-, Nacht- und Klubkultur sein. Anfang dieser Woche veranstaltet sie einen Kongress, der sich International Night Cultur Conference nennt. Dort treffen sich Nachtbürgermeister aus mehreren europäischen Städten und diskutieren über ihre Erfahrungen. Matthias Rauch, Leiter der Kulturellen Stadtentwicklung bei Startup Mannheim, erklärt, was die Night Mayors, wie sie auf Englisch genannt werden, leisten können.

SZ: Herr Rauch, Sie veranstalten in Mannheim eine Konferenz mit Nachtbürgermeistern aus mehreren Ländern, aber fast alle Veranstaltungen laufen zwischen 10 und 18 Uhr ab. Müssten Sie sich nicht eigentlich nachts in einer Bar oder in einer Konzert-Location treffen?

Matthias Rauch: Wir sind tatsächlich in einem Club, in der Alten Feuerwache. Aber die Wahrnehmung, dass der Nachtbürgermeister primär nachts arbeitet, ist ohnehin falsch.

Das tut er gar nicht?

Sicherlich ist er auch mal nachts unterwegs, aber die Hauptarbeit findet zu normalen Bürozeiten statt. Da führt er die meisten Gespräche.

Bei der Einführung hieß es oft, der Nachtbürgermeister ist vor allem Streitschlichter zwischen lärmenden Partygängern und genervten Anwohnern. Trifft es das?

Das ist ein Aspekt, aber nicht der wichtigste. Klar soll der Nachtbürgermeister Betreiber, Gäste, Anwohner und Ordnungskräfte an einen Tisch bringen. Aber der Nachtbürgermeister ist nicht nur zum Deeskalieren da. Ein solches Vorgehen wäre rein reaktiv. Wir verfolgen einen proaktiven Ansatz. Man könnte es Governance der Nacht nennen.

Das klingt ja schön. Was steckt dahinter?

Wir wollen die Nachtkultur aktiv mitgestalten. Bisher ist die Nacht in der Verwaltung traditionell hinten runtergefallen. Da hat man auf Lärmbeschwerden reagiert oder mehr Mülleimer aufgestellt, wenn es Klagen gab. Wir wollen mehr tun. Deshalb soll unser Nachtbürgermeister nicht nur Mediator sein. Er soll Netzwerke intensivieren und für Impulse von außen sorgen. Wir wollen die Nachtkultur in Mannheim spannender, inklusiver und vielseitiger machen. Dafür ist die Nachtkultur-Konferenz ein gutes Forum, denken wir.

Wer kommt zu dieser Konferenz?

Zum einen Club- und Barbetreiber sowie Veranstalter, aber auch sehr viele Kolleginnen und Kollegen aus den Städten und Kommunen, mit denen wir in einem Workshop unterschiedliche Nachtbürgermeister-Modelle durchgehen und erörtern wollen.

Und am Ende steht dann ein Anforderungsprofil für neue Nachtbürgermeister?

In die Richtung. Wir wollen über mögliche Aufgaben reden, über die Verortung, die Finanzierung und die politische Unterstützung für die Nachtbürgermeister. Die Modelle der Städte sind ja sehr unterschiedlich. Berlin hat sich bewusst gegen den Nachtbürgermeister entschieden. Dort gibt es eine sogenannte Club Commission, also einen Verband der Klubbetreiber und Veranstalter, der diese Aufgabe übernimmt. Ähnlich ist es in Zürich, wo es einen Nachtstadtrat gibt. In Amsterdam, in Groningen und in Mannheim gibt es die Zuspitzung auf eine Person. Beides hat Vor- und Nachteile.

Was muss ein guter Nachtbürgermeister haben?

Ich glaube, es sollte nicht jemand sein, der eine Verwaltungskarriere vor sich oder hinter sich hat. Es ist wichtig, dass es eine Person aus der Szene ist. Sie muss auf Augenhöhe mit den Clubs, Bars und Veranstaltern sprechen können - und sie muss objektiv sein.

Mannheim hat den ersten Nachtbürgermeister in Deutschland, andere Städte wie München oder Stuttgart wollen nachziehen. Rechnen Sie damit, dass Sie irgendwann in Mannheim eine Art Städtetag der Nacht einberufen können?

Das fände ich gut. Das Interesse an dem Thema ist groß. Die Städte in Deutschland begreifen, dass man für die Nachtkultur etwas tun kann und auch sollte. Das zeigt sich schon daran, dass neun oder zehn Kommunen an unserem Workshop teilnehmen. Momentan ist die Szene noch klein. Aber ich schätze, dass wir im nächsten Jahr drei oder vier Nachtbürgermeister oder ähnliche Ansprechpartner in deutschen Kommunen haben werden. Wir in Mannheim geben gerne unsere Erfahrungen an sie weiter.

Die Verdichtung in den Städten, die steigenden Mieten und das, was man Gentrifizierung nennt, ist das eine Bedrohung für die Nachtkultur?

Ja, wir sehen das heute schon, in den großen Städten. Aber es gibt sehr gute Modelle, mit denen man gegensteuern kann, etwa das Agent-of-Change-Modell.

Was ist das?

Wenn ein neuer Akteur in ein Viertel kommt, in dem es viel Nachtkultur gibt, also zum Bespiel eine Immobilienagentur, dann wäre sie dafür verantwortlich, dass die Wohnungen angemessen isoliert werden und das Problem nicht allein bei den Clubs und Bars abgeladen wird.

Also, wer als letztes kommt, muss sich anpassen?

So könnte man es sagen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4651743
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.