Süddeutsche Zeitung

Ludwig van Beethoven:Alle Menschen werden Brüder

Lesezeit: 2 min

Internet-Aktivisten beschwören dieser Tage die angeblich "nordafrikanischen Wurzeln" des Komponisten. Dabei ist das wirklich kein neues - und bereits oft widerlegtes Thema.

Von Susanne Kübler

Es ist gerade einiges los unter dem Hashtag #BeethovenIsBlack. Rapper freuen sich über den unerwarteten "Brother", manche posten Selfies mit erstauntem Gesichtsausdruck, Sinfonien werden mit schwarzen Straßenchoreografien zusammengeschnitten, historische Porträts verfremdet.

Tatsächlich, es wird doch noch lustig in diesem seltsamen Beethovenjahr 2020. Und dies ausgerechnet wegen eines Gerüchts, das eigentlich uralt ist. Denn dass Ludwig van Beethoven (1770-1827) schwarz gewesen sei, wurde spätestens 1907 erstmals öffentlich diskutiert. Damals vertrat der Komponist Samuel Coleridge-Taylor diese These, selbst Sohn einer britischen Mutter und eines Vaters aus Sierra Leone.

Zu den vielen, die sie später wieder aus der Schublade holten, gehörte auch der Bürgerrechtler Malcolm X, 1963 in einem Interview mit dem Playboy. Selbst bei den "Peanuts" wurde sie diskutiert, Beethoven-Fan Schroeder reagierte verblüfft: "Was, dann habe ich jetzt die ganze Zeit Soul gespielt?" Das letzte Mal ging das Thema 2015 durch die Medien - aber so weit unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit, dass der schwarze Beethoven jetzt erneut als Entdeckung präsentiert werden kann.

Bettina von Arnim beschrieb den Künstler als "klein" und "braun"

Aber was ist denn nun dran an dem Gerücht? Sicher ist, dass Beethoven einen dunklen Teint hatte. Als "klein, braun, voller Blatternarben" beschrieb ihn die Schriftstellerin Bettina von Arnim. Darüber, ob sein Haar nun kraus oder einfach wirr gewesen sei, waren sich seine Porträtisten dagegen nicht einig. Und wer aus der Nasenform der Totenmaske Rückschlüsse ziehen will, gerät rasch in ziemlich unappetitliche Physiognomie-Diskussionen.

Also anders gefragt: Wie hätte es denn überhaupt sein können, dass er schwarz gewesen wäre? Vertreter der These berufen sich auf Beethovens Mutter, Maria Magdalena Keverich. Man weiß wenig über sie, es existiert auch kein Porträt. Aber es ist möglich, dass ihre Wurzeln nach Flandern reichten, das zeitweise unter spanischer Herrschaft stand; Teile Spaniens wiederum waren lange von den nordafrikanischen Mauren besetzt.

Als Beleg ist das nun allerdings nicht gerade zwingend. Und selbst wenn es alle diese Verbindungen tatsächlich gegeben haben sollte, wäre das maurische Blut sehr stark verdünnt durch Beethovens Adern geflossen. Dass seine katholische, in Ehrenbreitstein bei Koblenz geborene Mutter eine "afrikanische Muslimin" gewesen sei, wie derzeit auf den sozialen Medien kolportiert wird, ist definitiv falsch.

Was dagegen stimmt: Beethoven war mit dem schwarzen Geiger George Bridgetower befreundet, ist oft mit ihm aufgetreten und hat ihm die Kreutzer-Sonate gewidmet. Wenn er in seiner 9. Sinfonie "Alle Menschen werden Brüder" vertont hat, meinte er mit "alle" also zweifellos nicht nur die Weißen.

Und das wäre eigentlich das, was von der aktuellen Twitter-Debatte übrig bleiben sollte: Dass Beethoven nicht den Weißen gehört. Und dass es schon zu seiner Zeit erfolgreiche schwarze Musiker gab - auch wenn er selbst wohl eher keiner von ihnen war.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4950282
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.