Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Gérard Depardieu, das Rätsel

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Einer der besten Schauspieler der Welt hat wieder mal Ärger. Unter anderem wegen Nordkorea. Kann ein Comicautor ihn erklären?

Von Joseph Hanimann

Dieser Mann scheint zusehends zum Rätsel zu werden. Kippt da ein Genie gerade in den Wahnsinn ab? Der Kinostar Gérard Depardieu lässt keine Gelegenheit aus, sich freundschaftlich an der Seite Putins zu zeigen, der ihm vor fünf Jahren, als Depardieu genug von Frankreich hatte, die russische Staatsbürgerschaft antrug. Journalisten, die ihn nach den Gründen für diese Sympathie befragen, schickt er zum Teufel. "Moment mal! Treib's nicht zu weit!", warf er einem Reporter in einem Rundfunkinterview an den Kopf, "entweder wir sprechen jetzt über Fußball oder es ist Schluss und Bye-bye."

Eine Journalistin, die ihn auf seinen 2008 gestorbenen Sohn Guillaume ansprach, betitelte er als "Schlampe". Für Guillaumes Tod machte er den französischen Staat verantwortlich, weil er den Jungen einst wegen Heroinbesitzes ins Gefängnis gesteckt habe. Ebenso aberwitzig erschien Depardieus Spekulation im Interview mit dem amerikanischen Online-Portal The Daily Beast, das Aidsvirus sei möglicherweise von den Amerikanern produziert worden. Beim 70-Jahr-Jubiläum Nordkoreas wiederum wurde er unlängst unter den Ehrengästen gesehen.

"Monster" heißt ein unlängst erschienenes Buch von Gérard Depardieu. Er habe in seiner Jugend einen Töpfer gekannt, schreibt er da, der neben den gediegenen Tellern und Tassen ab und zu bizarre Ungetüme geschaffen habe mit der Erklärung, diese Monster in sich müsse er hier und da rauslassen. Leute, die gelegentlich Unsinn erzählen, seien ihm lieber als die Klugscheißer, gesteht Depardieu.

Dann fand ein Comicautor den Zugang zu Depardieus zerklüfteter Persönlichkeit

So einfach mag man sich aber nicht abspeisen lassen. Depardieu: das geniale Kinomonster, das manchmal halt ausflippt? Zu billig. Es muss doch einen tieferen Kern geben bei diesem ehemaligen Tage- und Taschendieb aus der französischen Provinz, den seine Mutter mit einer Stricknadel eigentlich hatte abtreiben wollen. Diesem Schulversager, der die Polizisten als seine besten Lehrer bezeichnet, weil einer von ihnen ihm einmal gesagt hat, er habe Hände wie ein Bildhauer. Danach hat der Autodidakt Depardieu dann Balzac, Dostojewski, Handke, Duras verschlungen, ist in 200 Filmen aufgetreten, hat vor Kurzem ein Album mit Liedern der berühmten Chansonnière Barbara eingespielt mit einer Sanftheit, die einem die Tränen in die Augen treibt.

Und seit dem Sommer hat er eine gerichtliche Voruntersuchung am Hals, weil er beim Privatunterricht eine Schauspielschülerin vergewaltigt haben soll. Wie geht das alles zusammen?

Einen Zugang zur Persönlichkeit Gérard Depardieus hat einer gelegt, der vier Jahre an seiner Seite verbracht hat. Zwischen 2012 und 2016 hat der Comicautor Mathieu Sapin den Schauspieler Depardieu auf seinen Reisen nach Aserbaidschan, Moskau, Portugal, Katalonien, Bayern sowie durchs Labyrinth seiner Pariser Stadtwohnung begleitet. "Gérard" heißt das daraus hervorgegangene Album, in welchem der Zeichner sich selbst als Beifahrer in den Seitenwagen des Filmstars und leidenschaftlichen Motorradfahrers gesetzt hat.

Der jähzornige Brummbär

Zu sehen ist im Comic ein bald vergnügter, bald jähzorniger Brummbär, der frisch von der Leber weg aus seinem Leben erzählt, Staatspräsidenten duzt und anbellt, dem immerfort griesgrämigen Putin beim Kuss seine enorme Fleischnase in die Backe bohrt. Ein Egomane, dessen Launen nicht Allüren, sondern eine zweite Natur sind und dessen unersättliche Esssucht eine ebenso grenzenlose Zuwendung zu den Menschen und Köstlichkeiten der Welt verrät.

Und dann zeigt Mathieu Sapin den Star auch noch, wie er seine Mitarbeiter terrorisiert und den aserbaidschanischen Fahrer vom Hintersitz aus kitzelt, um ihn unter der Anweisung "Faster! Faster!" zum Rasen auf der Autobahn anzutreiben. Oder wie er mit amerikanischen Kunstkritikerinnen zu Hause durch seine Kunstsammlung schwadroniert, zugleich aber, wie er Redakteuren der Zeitung Libération einer bösen Kritik wegen ausrichten lässt, 140 Kilo lebendiges Fleisch warte in Paris auf sie, um ihnen die Fresse zu zerschlagen.

All das klingt nach Unbeherrschtheit, Provokation, latentem Verfolgungswahn. Dahinter steht aber das unbändige Daseinsverlangen eines Ausbrechers aus der Sprachlosigkeit seines ursprünglichen Milieus. Anstandsregeln will er keine mehr gelten lassen. In seinem vorletzten Buch "Innocent" (Unschuldig) hat Depardieu beschrieben, wie in seinem Elternhaus in Châteauroux nie miteinander gesprochen, nicht einmal gemeinsam gegessen wurde. Man lebte aneinander vorbei wie Tiere vor dem Fressnapf.

Einen Sinn dafür, was sich gehört, hat Depardieu nicht entwickelt. Wohl aber einen Sinn für Gerechtigkeit oder für das, was ihm als solche erscheint. Daran ist dem Empfindsamen, dem "pathologische Überempfindlichkeit" attestiert und der deshalb vom Armeedienst dispensiert wurde, besonders gelegen.

Im Revoltejahr 1968 brachte der Zwanzigjährige sich in Paris, wie er selbst berichtet, damit über die Runden, den nach der Demonstration erschöpften Studenten die Uhren abzunehmen, die er zuvor an den Handgelenken hatte blitzen sehen, als sie die Fäuste erhoben. "Ich mag die Außenseiter und Randfiguren", schreibt er im Buch "Monster": nicht um ihrer Marginalität willen, sondern weil sie von den anderen an den Rand gedrängt wurden und "weil diese anderen Arschlöcher sind".

Man solle ihn endlich in Ruhe lassen beim Nachdenken über Altern und Tod

Dass jemand bestimmen kann, wo seine Meinungsfreiheit aufhöre und wo nicht, ist dem eingefleischten Autodidakten und trotz seines Alters Enfant terrible unerträglich und treibt ihn zu immer neuen Provokationen gegen die Erwartungen der Öffentlichkeit.

Es werde immer schwieriger, eigenständig zu denken, schimpft er, denn unablässig werde man in den Medien mit fremden Ängsten und Lebensdramen konfrontiert, die zu nichts anderem dienten, außer einem ein schlechtes Gewissen zu machen. Dagegen gefällt er sich in der Rolle des Provokateurs an der Seite Putins oder Kim Jong-uns. Russland sei eine "große Demokratie", behauptete Depardieu, nachdem er 2013 russischer Staatsbürger wurde und sich in der Stadt Saransk niederließ, deren Kulturzentrum heute seinen Namen trägt. Gerade hat er dort eine lokale Produktion von Bio-Delikatessen lanciert.

Besonders verärgert haben ihn bei der Wohnsitzverlegung 2012 zunächst nach Belgien und dann nach Russland die Spekulationen, er wolle nur der vom damaligen Präsidenten François Hollande angekündigten (und dann nicht eingeführten) Reichensteuer entgehen. Übereinstimmend bezeugen selbst die Kritiker, seine Großzügigkeit gegenüber anderen sei beinahe grenzenlos, was auch Comiczeichner Sapin in seinem Album bestätigt. Immerfort sieht man dort unbekannte Mitbewohner durch Depardieus Pariser Luxuswohnung spazieren.

Und die Vergewaltigungsklage? Total erfunden, ließ er durch seinen Anwalt mitteilen. Alles sei heute zur Belästigung geworden, schimpft Depardieu: Kaum weniger schlimm als die sexuelle sei die politische, die gesellschaftliche, die journalistische Belästigung.

Man solle ihn endlich in Ruhe lassen beim Nachdenken über Altern und Tod. Das sind Themen, die er immer häufiger anschlägt. Nur: Zu ruhig sollte es um ihn auch wieder nicht werden. Man ist sich fast sicher, am Ende gäbe es Streit.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2018
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