Süddeutsche Zeitung

Papst in Lateinamerika:Alle wollen Franziskus

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Von Matthias Drobinski

Alle wollen den päpstlichen Segen

Vielleicht kaut er ja tatsächlich Koka-Blätter, der Papst. Die Koka-Bauern würden sich freuen, die Indios es als Zeichen des kulturellen Respekts werten, es ist ja bei Papstbesuchen jeder Krümel symbolisch aufgeladen. Eine Woche wird Papst Franziskus von Sonntag an durch Ecuador, Bolivien und Paraguay reisen, durch seinen Heimatkontinent Lateinamerika. Das macht die Gesten noch symbolischer, die Erwartungen noch größer.

Die linken Präsidenten Correa aus Ecuador und Morales aus Bolivien bauen genauso auf den päpstlichen Segen wie der wirtschaftsliberale Cartes aus Paraguay. Vertreter der Indianervölker wünschen, dass Franziskus sich für den Massenmord der Konquistadoren entschuldigt, Umweltschützer hoffen auf Hilfe im Kampf gegen die Ölindustrie, Bischöfe klagen über die Kultur- und Kirchenpolitik der Linken, die Schwulen wünschen ein freundliches Wort; es ist nicht leicht, Papst zu sein.

Andererseits kommen auch Millionen Katholiken zum Feiern und Jubeln, 300 000 von ihnen aus Argentinien über die Grenze nach Paraguay. Franziskus wird wohl die wachsende soziale Spaltung kritisieren, vielleicht auch die neuen Ölbohrungen in Ecuador. Ganz abgesehen von dem, was ihm diesmal wieder spontan einfallen wird.

Seine Herkunft prägt Franziskus bis heute

Die Europäer können bei dieser Reise begreifen, wie viel Lateinamerika in diesem Papst steckt. Jorge Mario Bergoglio ist in einem Argentinien aufgewachsen, das eine große Zukunft zu haben schien - und über das dann die Gewalt der Militärs kam, das furchtbare Wirtschaftskrisen durchlitt, in dem das Elend wuchs. Das prägt ihn bis heute.

Er hat sich mit Argentiniens linken Perónisten die härtesten Kämpfe geliefert, und doch ist bei ihm vieles perónistisch inspiriert: das Charisma, der herzlich-patriarchale Gestus, die volkstümliche Rede, die Suche nach einem Weg zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus, die Skepsis gegenüber den USA. Wer sich in Europa über die Kapitalismuskritik des Papstes mokiert, muss wissen, dass sie für lateinamerikanische Verhältnisse nicht sehr radikal ist - die "Theologie des Volkes", die er vertritt, ist die dezidiert nichtmarxistische Variante der Befreiungstheologie.

In Europa macht dieser Papst einige Christen nervös

Dieser Papst ist also nun nach Europa gekommen und erschreckt so manchen braven Christen. Man kann Franziskus entgegenhalten, dass die soziale Marktwirtschaft anders ist als der harte Liberalismus, den er kennengelernt hat. Man muss aber auch respektieren, dass dies die Erfahrungen eines kolonialisierten Kontinents sind, in dem der mächtige Nachbar im Norden Regierungen stürzte und Folterknechte ausbildete. Es sind die Erfahrungen mörderischer Diktaturen und Bürgerkriege, von himmelschreiender Armut und obszönem Reichtum, vom Raubbau an der Natur. In diesen Erfahrungen steht "der Westen" nicht einfach für Freiheit und Menschenrechte, den sozialen Ausgleich und den Umweltschutz. Es sind die Erfahrungen ziemlich vieler Menschen auf der Welt.

Auch das ist das Neue, was dieser Papst Franziskus nach Europa bringt. Papst Benedikt XVI. sprach und dachte in den europäischen Kategorien; sie waren auch denen vertraut, die sich an diesem Denken rieben. Es könnte gut sein, dass er für längere Zeit der letzte Papst ist, bei dem das so war.

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SZ vom 04.07.2015
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