Süddeutsche Zeitung

Schiffsunglück im Kongo:Nachtfahrt in den Tod

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Mindestens 60 Menschen sterben bei einem Bootsunglück, Hunderte werden noch vermisst. Warum Reisen auf dem Kongofluss, der Hauptverkehrsader des Landes, so gefährlich sind.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Es muss gegen 20 Uhr am Sonntagabend gewesen sein, als das Boot, dessen Namen man noch nicht einmal kennt, zu sinken begann und mindestens 60 Menschen mit sich riss, die im riesigen Kongofluss ertranken. Etwa 300 Überlebende wurden geborgen, mehrere Hundert noch vermisst. Es ist eines der schlimmsten Schiffsunglücke in einer an Schiffsunglücken reichen Gegend.

Das namenlose Schiff war nach allem, was man weiß, einer jener Barkassenverbände, bei denen mehrere aus Stahl gefertigte Rumpfteile aneinandergekettet werden, mit einem Schlepper am Ende, der die waghalsige Konstruktion vor sich herschiebt. Hunderte Passagiere sind über mehrere Wochen auf den Booten unterwegs, wenn sie von der Hauptstadt bis nach Kisangani im Osten des riesigen Landes wollen. Mindestens zehn Tage, wenn es nur bis nach Mbandaka geht, so wie im Fall des verunglückten Bootes.

Straßen im Kongo sind meist eher Löcher oder Gruben, der Fluss ist die Hauptschlagader des Landes, für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit ins Landesinnere zu kommen. Händler schleppen Hunderte Säcke Reis und Mehl auf die Boote, Autohändler Gebrauchtwagen und die Bauern ihre Tiere. Hoffnungslos überladen sei das Boot gewesen, sagte der Minister für Humanitäre Angelegenheiten Steve Mbikayi. "Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen, wir verlangen Konsequenzen für die Verantwortlichen."

So läuft es nach jedem Bootsunglück im Kongo, im April 2019, als 167 Menschen auf dem Kivu-See ertranken, verkündete Präsident Félix Tshisekedi, dass von nun an auf allen Booten Rettungswesten getragen werden müssen. Nur sind die für die allermeisten Passagiere unerschwinglich.

Nachts ist alles Glückssache

Das Unglück vom Sonntag sei womöglich darauf zurückzuführen, dass der Kapitän das Schiff auf einen großen Felsen lenkte oder eine Sandbank, mitten in der Nacht offenbar Probleme mit der Orientierung hatte.

Nachts dürfen die Schiffe eigentlich nicht fahren auf dem Kongofluss, aber weil die Nacht hier am Äquator so früh beginnt, die Sonne bereits gegen 18 Uhr unterzugehen beginnt, tun es viele Kapitäne doch, um schneller voranzukommen. Es ist ein waghalsiges Unterfangen, nachts auf dem dunklen Fluss, der meist keinerlei Anhaltspunkte bietet, wo man sich befindet.

Die belgischen Kolonialisten hatten den Kongo einst von der Mündung bis ins etwa 2000 Kilometer entfernte Kisangani vermessen, ausgebaggert und mit Leuchtbojen markiert, um die reichen Bodenschätze des Landes auszuplündern und nach Europa zu bringen. Die Schlepper sehen heute noch genauso aus wie damals. Ansonsten ist von der Infrastruktur Jahrzehnte später wenig übrig geblieben. Tagsüber steht an der Spitze der Schiffe meist ein junger Kerl, der mit einem langen Stock die Wassertiefe misst. Nachts ist alles Glückssache.

Die Passagiere am Sonntag hatten keines. Sie verunglückten in der Nähe des Dorfes Longola Ekoti, weit entfernt von jeglicher Hilfe, allein die Nachricht vom Unglück brauchte fast zwei Tage bis in die Hauptstadt. Womöglich wird man weder den Namen des Bootes je erfahren, noch die seiner Passagiere.

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