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Kim Kardashians Stiefvater Bruce Jenner:"Ich bin eine Frau"

Lesezeit: 3 min

Amerikas ehemaliger Sportheld Bruce Jenner verkündet zur besten Sendezeit seine Geschlechtsumwandlung. Die passende Dokusoap hat der TV-Promi schon eingetütet - doch es geht ihm nicht nur ums Geld.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, schrieb einst Theodor Adorno. Aber der Philosoph kannte nicht Bruce Jenner.

Der 65-jährige Jenner, ehemaliger amerikanischer Zehnkampf-Olympiasieger und Berufsprominenter, sitzt der Fernsehmoderatorin Diane Sawyer und einem Millionenpublikum gegenüber, um zur besten US-Sendezeit ein öffentliches Geständnis zu machen: "Bruce hat sein Leben lang darüber gelogen, wer er ist. Ich kann dieses Leben nicht mehr länger leben", erklärt er, "ich bin in jeder Hinsicht eine Frau."

Bruce wird zu Ex-Bruce, und das im Fernsehen (der neue Name als Frau bleibt noch geheim). Nur um das Ausmaß dieses Interviews zu verdeutlichen: Man stelle sich vor, Boris Becker würde im Gespräch mit Claus Kleber ankündigen, künftig als Frau bezeichnet werden zu wollen.

Kritiker können den Jenner-Auftritt als typische Inszenierung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie abtun, und sie haben damit in gewisser Hinsicht natürlich Recht. Jenner war nicht nur Goldmedaillen-Gewinner in Montreal 1976, sondern in den vergangenen Jahren auch der Patriarch des Kardashian-Clans, jener geschäftstüchtigen Familie, die seit acht Jahren einen durchinszenierten Teil ihres Privatlebens als Reality-Serie "Keeping Up The Kardashians" verkauft und damit dreistellige Millionenbeträge verdient.

Geschlechtsumwandlung als Doku-Soap

Auch das nun ausgestrahlte TV-Interview mit ABC lässt sich Kim Kardashians Stiefvater sicher gut bezahlen - nach dem Erfolg der Amazon-Serie "Transparent" über eine Transsexuelle startet ABC in wenigen Tagen eine Dokuserie über Familien mit Transgender-Elternteilen und braucht dafür Aufmerksamkeit. Minuten nach der Ausstrahlung des Interviews kündigt zudem der Unterhaltungssender E! an, Jenners Weg zur Geschlechtsumwandlung ab Sommer in einer Reality-Serie zu dokumentieren.

Doch Bruce Jenner ist nicht nur Akteur und Produkt des Unterhaltungsbetriebs, sondern eben auch der sechsfache Vater, der 65 Jahre lang im falschen Körper lebte. Der Mensch, der einem Millionenpublikum erklärt, seit dem achten Lebensjahr mit seiner Identität zu ringen und heimlich Frauenkleider zu tragen. Der einstige Held einer Sportnation, der in den Siebzigern phänotypisch den hochgewachsenen, gutaussehenden und erfolgreichen US-Modellathleten verkörperte und dessen Sportler-Gesicht Müsli-Packungen zierte. Und der nun innerhalb einer Sekunde zur bekanntesten Transsexuellen der USA wird.

Irgendwo zwischen der Einführung der Homosexuellen-Ehe in immer mehr US-Bundesstaaten und den ewiggestrigen evangelikalen Ultras mit Demo-Slogans wie "Gott hasst Schwuchteln" könnte deshalb ein neues Kapitel beginnen: die Enttabuisierung der Transsexualität. Er verstehe den Verdacht, dass er wegen der Publicity an die Öffentlichkeit gehe, sagte Jenner im Interview, seinem letzten als Bruce, "aber glauben sie wirklich, dass ich das hier wegen einer Fernsehsendung durchmache? Was ich mache, wird etwas Gutes bewirken. Es wird die Welt verändern."

Kampf mit der Identität

700 000 Amerikaner sind Schätzungen zufolge Transgender. Meredith Talusan, eine New Yorker Fotografin und Autorin mit Trans-Identität, beschrieb die Lage im Guardian so: "Für Trans-Menschen kann Diskriminierung in den unterschiedlichsten Formen von überall kommen, von Fremden bis zu deinen nähesten Familienmitgliedern, (...) absichtlich oder unabsichtlich, bewusst oder unbewusst." 41 Prozent aller Transgender-Menschen in den USA haben einer Studie zufolge bereits einen Selbstmord-Versuch hinter sich.

Jenner selbst habe auch an Suizid gedacht, als eine Paparazzi-Meute nach einer Operation zur Verkleinerung des Adamsapfels auf ihn gewartet hatte, erklärt er im Interview. Doch dann habe er sich dagegen entschieden. Er wolle schließlich wissen, wo diese Reise ende.

In den vergangenen Monaten hatten die Gerüchte um ihn die Klatschpresse dominiert: Ein sich abzeichnender Sport-BH unter der Motorradjacke, ein illegaler Schnappschuss, der Jenner im langen Sommerkleid und wehendem Haar auf seinem Balkon zeigt, dazu Fotos von einem tödlichen Autounfall, an dem er beteiligt war. US-Boulevardmedien und die Öffentlichkeit konnten sich nicht sattsehen an dem Promi, der einen selbst für Hollywood-Verhältnisse extremen Schritt plante.

Die Jagd auf Jenners Geheimnis ist nun zu Ende - doch das Rampenlicht ist noch einmal heller geworden. Er sehe sich nicht als Sprecher der Transsexuellen-Community, wolle aber mit ihr zusammenarbeiten. "Ich hoffe, wir können einige Leben retten", so die Aussage, auch in Anspielung auf die Gewalt gegen Transsexuelle. Ein erster Schritt könnte gewesen sein, einer breiten Öffentlichkeit zur besten Sendezeit erklären zu können, warum Mannsein und Frausein nicht einzig eine Frage der Anatomie ist. Und dass die Genderorientierung einer Person nichts mit deren sexueller Orientierung zu tun hat. Jenner erklärt im Interview mehrmals, dass er sich bisher als heterosexuell gesehen hat, mit absoluter Sicherheit auf Frauen steht und nie etwas mit einem Mann hatte. Auf die Frage von Moderatorin Sawyer, ob er nun "lesbisch" sei, muss Jenner herzlich lachen.

Dieser Jahrzehnte lange innerer Kampf mit seiner Identität habe ihn seine drei Ehen gekostet, gab Jenner zu verstehen. Man sieht ihm immer wieder an, wie berührt er ist. Manchmal kullern die Tränen. Nicht nur in diesen Augenblicken wirkt Jenner absolut überzeugend.

Seine sechs leiblichen Kinder sowie seine vier Stiefkinder hätten seinen Entschluss zur Geschlechtsumwandlung positiv aufgenommen - manche mehr, manche weniger gut. Das meiste Verständnis habe Kim Kardashian gezeigt, vor allem nachdem ihr Ehemann Kanye West erklärt habe, dass nichts im Leben etwas wert sei, wenn man nicht man selbst sein könne. Auch zahlreiche Prominente wie Oprah Winfrey oder Lady Gaga sagten via Twitter ihre Unterstützung zu, Aktivisten lobten den Schritt als extrem wichtig für alle Transgender.

Ist Bruce Jenner nun ein Pionier, der den Weg für ein größeres Verständnis für Transsexuelle ebnet? Oder nur ein TV-Prominenter, der sein Leben bis ins letzte Extrem vermarket und dabei abkassiert? Womöglich beides. Sein Auftritt gilt jedoch schon jetzt als einer jener Momente, der dem Bewusstsein der USA eine neue Facette hinzufügen konnte.

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