Süddeutsche Zeitung

Keine Anklage gegen Polizisten:Grand Jury entscheidet - Ferguson antwortet mit Gewalt

Lesezeit: 3 min

Vor diesem Beschluss hatten sich US-Bürgerrechtler gefürchtet: Der Polizist, der den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss, wird nicht angeklagt. Während die Situation in Ferguson eskaliert, hinterlässt der Auftritt des Staatsanwalts einen seltsamen Beigeschmack.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Das Bildergewitter im Fernsehen und über soziale Medien beginnt kurz nachdem klar ist, dass der Polizist Darren Wilson nicht angeklagt wird. Der US-Präsident ruft Demonstrierende und Polizei dazu auf, sich zurückzuhalten - währenddessen zeigen die CNN-Bilder in Ferguson, wie die Situation eskaliert.

Zu sehen sind zerstörte Polizeiautos und geplünderte Geschäfte. Tränengas und Gummigeschosse aus den Reihen der Polizei. Verzweifelte und wütende Protestierende mit Flaschen und Ziegelsteinen, hochbewaffnete Polizisten mit Gasmasken; Reporter, die neben einem brennenden Auto stehen.

Der lokale Polizeichef erklärte dem Sender BBC zufolge, Ferguson erlebe seine schlimmste Nacht. Die Feuerwehr habe Probleme, die Brände zu löschen. Er sprach von 150 Schüssen aus der Menge. CNN zufolge wurden im Laufe der Nacht mindestens 15 Schüsse gehört. Nach einem Bericht der Zeitung St. Louis Post-Dispatch wurde ein Polizist angeschossen. Das Luftfahrtamt FAA schloss wegen Schüssen in Flughafennähe den Luftraum über der Stadt.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters wurde in der Nähe der US-Kleinstadt ein Polizist angeschossen. Der Beamte sei am Arm verletzt worden, schwebe aber nicht in Lebensgefahr, teilte die Polizei mit. Es sei noch unklar, ob der Vorfall in University City mit den Unruhen im benachbarten Ferguson zusammenhänge.

Fest steht: An Fotos und Videos mangelt es nicht, an Erklärungen schon. Reagiert die Polizei erneut über? Und wie groß ist der Anteil jener unter den Hunderten Demonstranten, die sich aktiv an Plünderungen und Gewaltakten beteiligen? Bis es Antworten gibt, wird es wohl noch dauern.

"Der Killer muss keine Konsequenzen tragen"

Wilson ist weiterhin ein freier Mann. Die zwölfköpfige Grand Jury (neun Weiße, drei Schwarze) hat nach dreimonatigen Anhörungen und Beratungen entschieden, den Polizisten nicht wegen seiner tödlichen Schüsse auf den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown anzuklagen.

"Wir sind extrem enttäuscht, dass der Killer unseres Sohnes keine Konsequenzen seiner Taten tragen muss", ließ Browns Familie in einem Statement mitteilen, bat aber gleichzeitig um friedliche Proteste. Browns Mutter war zunächst unter Tränen zu der Demonstration in Ferguson gekommen, dann aber sichtlich mitgenommen weggebracht worden.

Wenn dies einer der bittereren Abende der amerikanischen Geschichte ist, dann hat Robert McCulloch dort einen besonderen Platz. Der umstrittene Staatsanwalt hatte es abgelehnt, selbst über eine Anklage zu entscheiden und den Fall der Grand Jury übergeben, ohne eine Empfehlung zu geben. Kritiker halten McCulloch für zu polizeinah, sein Vater war selbst Polizist und von einem Schwarzen getötet worden.

Am Montagabend dann verkündete der Staatsanwalt nicht nur das Verdikt, sondern hielt gleich eine halbstündige Rede. Diese diente nicht nur zur Erklärung des Beschlusses, sondern auch für Rechtfertigungen und Vorwürfe, die teils unglücklich, teils haarsträubend klangen. "Die größte Herausforderung in dieser Untersuchung war der 24-Stunden-Nachrichtenkreislauf", behauptete er - also, dass dauernd Nachrichten produziert werden müssen. Vom Tod Browns sprach er als "tragischen Verlust", um noch ein "unabhängig von den Umständen" zu ergänzen. An seiner Zustimmung zur Entscheidung ließ McCulloch keinen Zweifel, auch wenn nicht alles so eindeutig erschien, wie er es beschrieb.

Zeugenaussagen hätten sich widersprochen oder seien zurückgenommen worden, die physischen Beweise hätten jedoch keinen Raum für Spekulationen gelassen, sagte McCulloch. Den Tatverlauf beschrieb er so: Brown habe Wilson in dessen Polizeiwagen angegriffen und geschlagen, weshalb dieser zwei Schüsse abgefeuert habe. Brown habe sich daraufhin wegbewegt, sei aber umgekehrt, worauf der Polizist erneut geschossen habe. Insgesamt wurden zwölf Schüsse auf den Teenager abgegeben.

Polizist schreibt Brief an Unterstützer

Die Staatsanwaltschaft darf keine Details zur Urteilsfindung geben, hat aber die Beweise und Zeugenaussagen aus den Anhörungen zur Veröffentlichung freigegeben. Dort sagt Wilson aus, dass er nach zwei Schlägen fürchtete, bewusstlos oder totgeschlagen zu werden und deshalb die Waffe gezogen habe. "Die Bedrohung wurde gestoppt", beschreibt er den Moment, nachdem er Brown erschossen hatte.

Wilson hält sich an einem unbekannten Ort auf und hat einen Brief an seine Unterstützer geschrieben, in dem er sich für den "Beistand in einer stressigen Zeit" bedankt. Wilson wird nach Angaben des Polizeichefs nicht auf seinen Posten zurückkehren. Eine Ermittlung des Justizministeriums zu möglichen diskriminierenden Praktiken der Polizei in St. Louis dauert an, wird demnach aber wohl im Sande verlaufen. Die Hinterbliebenen Michael Browns behalten sich eine Zivilklage vor.

Landesweite Proteste

In den vergangenen Wochen war immer wieder von einem "neuen Civil Rights Movement" zu hören gewesen, das sich nach dem Tod Michael Browns auf den Weg gemacht habe, das Erbe Martin Luther Kings zu vollenden. Während auf den Nachrichtensendern die Bilder aus Ferguson flimmerten, protestierten in Städten wie Washington D.C, New York City, Los Angeles, Oakland, Seattle, Philadelphia und Denver zahlreiche Menschen zunächst friedlich gegen die Entscheidung.

In New York City versammelten sich jeweils hunderte Menschen auf dem Times Square und dem Union Square. Die Polizei begegnete den Demonstranten, die auf Bannern "Polizeiwillkür" und "Rassismus" anprangerten, mit einem Großaufgebot. Als sich New Yorks Polizeichef Bill Bratton auf dem Times Square zeigte, wurde er mit roter Flüssigkeit übergossen. In der Nacht zum Freitag hatte ein angehender Polizist in New York einen unbewaffneten, unschuldigen Afroamerikaner erschossen.

In der Hauptstadt Washington D.C. kamen Hunderte Demonstranten vor dem Weißen Haus zusammen. Sie forderten "Gerechtigkeit für Mike Brown" und riefen den in Ferguson berühmt gewordenen Slogan: "Hände hoch, nicht schießen".

(Mit Material der AFP)

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