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Karlsruhe:Mann klagt erfolgreich gegen lange U-Haft

Ist ein Gericht überlastet, rechtfertigt das nicht, einen Verdächtigen unangemessen lang in Untersuchungshaft zu halten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Ein Beschuldigter müsse nicht deshalb eine "unangemessen lange" Untersuchungshaft in Kauf nehmen, "weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen", entschied das Gericht.

Geklagt hatte ein Mann, der seit November 2016 in U-Haft sitzt. Das Landgericht Dresden wirft ihm schwere räuberische Erpressung und Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Der Prozess gegen ihn begann aber erst im Dezember 2017 - mehr als ein Jahr später. Im Februar 2018 wies das Landgericht einen Haftprüfungsantrag des Manns zurück, im März verwarf das Oberlandesgericht (OLG) eine dagegen gerichtete Beschwerde. Die daraufhin eingelegte Verfassungsbeschwerde war nun erfolgreich.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Fall an das OLG Dresden zurückgegeben, um erneut darüber zu entscheiden. Allein die Schwere der Tat könne bei "erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen" nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon langen U-Haft dienen. "Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein", erklärten die Verfassungsrichter.

In der Regel darf eine Untersuchungshaft maximal sechs Monate dauern. Nur unter besonderen Umständen ist eine Verlängerung erlaubt, zum Beispiel im Falle besonders umfangreicher Ermittlungen. Dem Deutschen Richterbund zufolge mussten die Oberlandesgerichte 2017 in 51 Fällen dringend Tatverdächtige wegen zu langer Strafverfahren aus der U-Haft entlassen. 2016 passierte dies demnach 41-Mal.

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