Süddeutsche Zeitung

Karlsruhe:Hoffnung für Tausende

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Im Schmerzensgeld-Streit um minderwertige Brust-Implantate einer französischen Firma erringt eine Klägerin einen Teilerfolg vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war ein beklemmender Skandal, mit einer Mischung aus Skrupellosigkeit und Gewinnsucht: Hunderttausende Brustimplantate aus minderwertigem Industriesilikon hatte die französische Firma Poly Implant Prothèse (PIP) verkauft, allein in Deutschland haben sich etwa 5000 Frauen solche Implantate einsetzen lassen. Vor fünf Jahren flogen die Machenschaften auf, doch die Ersatzansprüche der Frauen liefen zunächst ins Leere. Der PIP-Gründer wurde zwar verurteilt, doch die Firma war insolvent. Nun hat eine Klägerin vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zumindest einen Etappensieg errungen: Möglicherweise steht ihr ein Schmerzensgeldanspruch gegen den TÜV Rheinland zu, der für die Kontrolle der PIP-Produktion zuständig war.

Zwar hat der BGH den Fall zunächst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg überwiesen, sodass bisher noch nichts feststeht. 40 000 Euro Schmerzensgeld hatte die 64-jährige Elisabeth S. aus Rheinland-Pfalz gefordert; es werden aber noch Jahre vergehen, bis klar ist, was ihr wirklich zusteht. Doch geht der BGH damit einen entscheidenden Schritt weiter als die deutschen Gerichte der unteren Instanzen, die solche Ansprüche bisher abgewiesen haben. "Ich glaube, wir gewinnen", sagte die Klägerin nach der Verkündung der Entscheidung - souffliert von ihrer Anwältin Ruth Schultze-Zeu.

Allerdings muss man zugeben: Die Sache ist wirklich kompliziert. Denn Brustimplantate sind, juristisch gesprochen, Medizinprodukte, und dafür gilt ein deutlich weniger rigides Zulassungsverfahren als für Medikamente. Eine zentrale Rolle für die Qualitätssicherung der PIP-Produktion spielte der TÜV Rheinland, er war für die "Zertifizierung" der Implantate zuständig. Tatsächlich hatte er der Firma mindestens im Jahresrhythmus Besuche abgestattet, ohne dass er je auf das Billigsilikon gestoßen wäre. Was freilich auch nicht ganz einfach war: Mit beträchtlicher krimineller Energie hatte PIP seine illegalen Aktivitäten vor den Kontrollinstanzen verheimlicht. Akribisch führte das Unternehmen eine eigens für die Kontrolleure erstellte Dokumentation, in der das Industriesilikon nicht auftauchte. Der Unternehmensgründer Jean-Claude Mas wurde deshalb im vergangenen Jahr zu vier Jahren Haft verurteilt, mehrere Mitangeklagte wurden ebenfalls schuldig gesprochen.

Möglicherweise waren die TÜV-Kontrollen aber zu lasch: Die Implantate sind nie im Labor untersucht worden, viele Geschäftsunterlagen der Firma blieben unangetastet - und die Kontrolleure aus dem Rheinland kamen mit Anmeldung. Entscheidend sei in diesem Rechtsstreit, welche Pflichten der TÜV mit der Zertifizierung der Produkte übernommen habe, sagte der BGH-Senatsvorsitzende Wolfgang Eick. Da über dem ganzen Verfahren die europäische Medizinprodukte-Richtlinie aus dem Jahr 1993 schwebt, muss nun das oberste EU-Gericht die Frage nach dem Pflichtenkanon des TÜV beantworten. In der Richtlinie ist zwar von "erforderlichen Inspektionen" die Rede - was genau das bedeutet, bleibt indes offen. Weil die Richtlinie aber den Schutz der Patienten verbessern sollte, ist für den Klägeranwalt Peter Wessels die Sache eindeutig: "Der Sorgfaltsmaßstab ist sehr hoch."

Ist der TÜV beim Überprüfen des Implantate-Herstellers seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen?

Aber auch damit wäre die Angelegenheit noch nicht zu Ende: Deutsche Gerichte müssten dann die Details klären - darunter die für die Höhe des Schmerzensgeldes nicht unwichtige Frage, ob das Billigsilikon womöglich krebserregend ist. Laut Rechtsanwältin Schultze-Zeu deuten zwar neuere Studien aus den USA in diese Richtung, doch abschließend geklärt ist die Frage noch nicht. Die französische Gesundheitsbehörde hatte aber herausgefunden, dass von den Billigimplantaten, die wieder herausoperiert worden waren, ein Viertel defekt gewesen ist. Auch die Klägerin im Karlsruher Prozess berichtete von Entzündungen und Fieberattacken; inzwischen hat sie die Implantate entfernen lassen.

Nach dem Verfahren gab sich der TÜV zwar zuversichtlich: "Wir haben unsere Pflichten erfüllt", sagte Konzernsprecher Hartmut Müller-Gerbes. Ob das die Gerichte auch so sehen, ist aber nicht ausgemacht; der EuGH neigt in solchen Fällen häufig zur verbraucherfreundlichen Interpretation der EU-Vorschriften. Außerdem hat im November 2013 bereits ein französisches Handelsgericht in Toulon gegen den TÜV entschieden. Dort hatten rund 1600 Frauen und sechs Händler geklagt. Der TÜV habe seine "Pflicht zur Wachsamkeit" verletzt, befand das Gericht. Noch ist auch dieses Urteil nicht rechtskräftig.

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SZ vom 10.04.2015
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