Süddeutsche Zeitung

Seltene Krankheiten:Baby mit Hautkrankheit im Krankenhaus zurückgelassen

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Giovannino ist vier Monate alt und leidet an einer seltenen Krankheit, aber er hat überlebt. Seine Eltern haben das Kind der Klinik überlassen. Sein Schicksal bewegt nun ganz Italien.

Von Oliver Meiler, Rom

Niemand mag jetzt über die Eltern urteilen, obschon das leichtfertige, reflexartige Urteilen ja eine Mode dieser Zeit ist. Doch das Schicksal des verlassenen Giovannino bewegt die Italiener, wie das in jüngerer Vergangenheit keine Geschichte tat.

Giovannino ist vier Monate alt. Seit seiner Geburt im Sommer liegt er auf der Intensivstation im Krankenhaus Sant'Anna von Turin. Vierzig Pfleger kümmern sich um ihn im Schichtbetrieb. Wenn er aufwacht und Musik hört, lächelt er. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt. Kinder wie er überleben normalerweise nur einige Tage. Giovannino leidet an einer seltenen Hautkrankheit, der so genannten Harlekin-Ichthyose. Auf eine Million Neugeborene kommt weniger als ein Fall. Die Haut von Menschen mit dieser Erbkrankheit ist so trocken und brüchig, dass ihr Körper wie ein Panzer wirkt, aneinandergereihte Schuppenplatten. Wird die Haut nicht ständig und überall befeuchtet, reißt sie. Das Infektionsrisiko ist riesig.

Als Giovannino auf die Welt kam, erschraken seine Eltern, ein italienisches Paar, so sehr, dass sie entschieden, das Kind dem Krankenhaus zu überlassen. "Das muss ein unsäglich schmerzvoller Entscheid gewesen sein", sagte Daniele Farina, der Oberarzt in der Geburtsabteilung des Sant'Anna, in einer Medienkonferenz. Das Paar hatte lange erfolglos versucht, ein Kind zu bekommen, und dann beschlossen, es mit künstlicher Befruchtung zu versuchen. Die Hälfte des Erbgutes kam von einem Spender. Die Schwangerschaft soll völlig problemlos verlaufen sein. Mit den üblichen Tests hätte man die Krankheit auch nicht diagnostizieren können.

Kollektive Anteilnahme

So liegt Giovannino seit vier Monaten im Krankenhaus und isst mittlerweile "wie ein Wolf", wie Farina es beschreibt. Da die Krankheit auch die Schleimhäute im Mund befällt, sind das Atmen, das Essen und Trinken zunächst das größte Problem. Sechs Kilogramm wiegt Giovannino nun. Die akute, oftmals tödliche Phase hat er also überstanden, jetzt geht es um die Organisation seines Lebens. Und wie immer, wenn die Natur den Tribut ihrer Unberechenbarkeit einfordert, mobilisieren sich die Italiener auch diesmal mit berührender, fast kollektiver Anteilnahme. Von überall komme Hilfe, berichtet die Stadtverwaltung: Spielzeug und Kleider für den Kleinen, Geld für seinen Unterhalt.

Viele wollen Giovannino jetzt adoptieren, oder wenigstens seine Großeltern sein. Das Turiner Tribunal für Minderjährige hat Giovannino zur Adoption freigegeben. Doch niemand dürfe sich Illusionen machen, sagte Farina. "Wer bereit ist, sich um Giovannino zu kümmern, der nimmt eine sehr beschwerliche Verantwortung auf sich." Sie höre nie auf, ein ganzes Leben lang nicht. Allenfalls lassen sich die Symptome behandeln, aber Aussicht auf Heilung gibt es bisher nicht. Und die Sonne ist ein ständiger Feind.

Wenigstens wärmt die Solidarität das Herz. Die Zeitung La Repubblica schreibt: "Wir alle sind Eltern von Giovannino."

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