Süddeutsche Zeitung

Hygiene in Indien:Pieseln lohnt sich

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Im indischen Musiri stehen die Bürger Schlange: Sie werden dafür bezahlt , öffentliche Toiletten zu benutzen.

Oliver Meiler

Aus Musiri, einer Kleinstadt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu, erreicht uns die Meldung einer Weltpremiere, verbreitet von der Times of India. An der Saliyar Road, unten am Fluss, stehen sie neuerdings Schlange vor einer öffentlichen Toilettenanlage. Es sind zwei kleine, neue Gebäude mit je sieben Kabinen, eines für Damen, eines für Herren.

Die Schlange ist vor beiden Blöcken etwa gleich lang. Es kann ja sein, dass der Ruf der Natur die Menschen in Musiri nun plötzlich häufiger erreicht als ehedem. Wahrscheinlich ist das aber nicht: Viel eher erklärt sich das Phänomen aus dem Trieb der Rupie. In Musiri wird das Wasserlassen entlohnt: Eine Rupie für zehnmal Erleichtern. Wer oft kann (oder besonders gut vortäuscht), bringt es im Monat auf umgerechnet einen Euro.

Viel ist das nicht, gemessen aber am Aufwand und am Ertrag ein garantierter Nettogewinn. Die Frequenz wird auf Treuekarten festgehalten. 300 Familien machen mit bei diesem Pilotprojekt der Organisation "Scope", die sich für das bessere Funktionieren von Dorfgemeinschaften einsetzt. Dazu gehört die Hygiene, etwa die Nutzung von Toiletten.

In Indien verrichten 700 Millionen Menschen - vor allem in ländlichen Gebieten - ihre Bedürfnisse im Freien oder in Behälter, die dann von Mitgliedern niederer Kasten eingesammelt werden. Spülklos sind im armen, ländlichen Indien auch in mittelständischen Haushalten noch immer selten.

Und so waren in Musiri erst einmal viele amüsiert, wie die Times of India berichtet, als man ihnen zutrug, das Urinieren lohne sich fortan, solange es gezielt vonstatten ginge - in den Kabinen an der Saliyar Road. Der Urin fließt in große Behälter - und weiter in ein Programm der Landwirtschaftsuniversität von Tamil Nadu, das die Eignung des Körpersafts zum flüssigen Düngemittel testet: für Zuckerrohr- und Bananenplantagen. Ein doppelter Nutzen also.

Man wünscht der Forschung viel Fortüne. Und den Indern viele öffentliche und private Toiletten. Die indische Regierung stellte erst kürzlich ein Millionenprogramm zum Bau von sanitären Anlagen vor, ein ambitiöses: Bis 2012 soll in Indien niemand mehr im Freien müssen müssen. Von bezahlter Notdurft war aber nicht die Rede.

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SZ vom 10.07.2008/ imm
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