Süddeutsche Zeitung

Höxter-Prozess:"Bar jeder moralischen Urteilskraft"

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Von Hans Holzhaider, Paderborn, Paderborn

"Ein Mann, der hinsichtlich seiner moralischen Reife auf der Stufe eines Grundschulkindes steht", der "bar jeder eigenen moralischen Urteilskraft" sich stets seiner dominanten Partnerin untergeordnet habe, der unfähig sei zu erkennen, ob in einer konkreten Situation eine Handlungspflicht besteht - so charakterisierten die Verteidiger Carsten Ernst und Detlev Binder ihren Mandanten Wilfried Wagener vor dem Landgericht Paderborn im Prozess um das sogenannte "Horrorhaus von Höxter".

Er ist angeklagt, den Tod zweier Frauen verschuldet zu haben, weil er es versäumt habe, rechtzeitig ärztliche Hilfe zu holen, als Anika W. und Susanne F. nach vielfältigen Misshandlungen in einem lebensbedrohlichen Zustand waren. Der Prozess sei, so Rechtsanwalt Binder, von Anfang an von einer beispiellosen Vorverurteilung in den Medien bestimmt gewesen. Alle hätten unterstellt, dass die Ex-Ehefrau Angelika das eigentliche Opfer und Wilfried Wagener die treibende Kraft hinter den Misshandlungen und Erniedrigungen gewesen sei, denen die beiden Frauen ausgesetzt waren. Diese Sichtweise sei durch das psychiatrische Gutachten der Sachverständigen Nahlah Saimeh widerlegt worden. Tatsächlich hätten Wilfried und Angelika Wagener in einer krankhaften Beziehung gelebt, in der eindeutig sie der dominante und er der "unterwürfige" Partner gewesen sei. Wilfried Wagener könne in seiner "unglaublichen Naivität" kaum zwischen Gut und Böse unterscheiden; er habe immer die Maßstäbe seiner dominanten Partnerin als seine eigenen übernommen.

Im Fall der Anika W. könne sein Mandant nicht verurteilt werden, weil er den lebensbedrohlichen Zustand erst erkannt habe, als keine Hilfe mehr möglich war, sagte Binder. Bei Susanne F. habe er die Lebensgefahr erst erkannt, als die Frau einen Tag, nachdem sie sich bei einem Sturz eine Kopfverletzung zugezogen hatte, in Krämpfe verfiel. Ob sie da noch hätte gerettet werden können, sei nicht geklärt. Die unterlassene Hilfeleistung sei deshalb als versuchter Mord zu bewerten. Ferner müsse das Gericht die von der Psychiaterin attestierte verminderte Schuldfähigkeit Wilfried Wageners strafmildernd berücksichtigen. Insgesamt sei deshalb eine Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren angemessen. Die Staatsanwaltschaft hatte für Wilfried Wagener eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. Die Plädoyers der Verteidiger von Angelika Wagener folgen am Dienstag. Wann das Urteil fällt, steht noch nicht fest.

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