Süddeutsche Zeitung

Hitze in Deutschland:Das Böse unter der Sonne

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Es ist heiß. So heiß. Irre heiß - und im Radio flötet die Moderatorin: "36 Grad. Das ist ein Suuuuuuuuupersommer!" Kann man das gute Wetter ernsthaft hassen? Unser Autor kann - aus voller Überzeugung.

Von Gerhard Matzig

Es ist früh am Morgen, die sogenannte tropische Nacht ist vorbei, es wird nicht regnen heute und es ist heiß. Schon jetzt. Schon wieder. So heiß. So irre heiß. Es ist die Hölle. Man steht also im Bad, hundstagmüde, weil man sich in der Nacht hin und her gewälzt hat in einem feinen Film aus Schweiß und delirierenden Vorstellungen von einem besseren Leben in Nordfinnland, und dann flötet eine Stimme aus dem Radio: "Guten Morgen, ach was, es ist ein perfekter Morgen, schon jetzt hat es 27 Grad und bis zum Abend freuen wir uns auf sage und schreibe 36 Grad. Das ist ein Suuuuuuuuupersommer!"

Sodann wird "In the Summertime" von Mungo Jerry aufgelegt. Das ist ein an sich wunderbarer Song aus dem Jahr 1970. Er stammt also aus einer Zeit, da sich die Sommer noch zu benehmen wussten und bei maximal 24 Grad endeten. Eigentlich liebt man diesen Song, in dem alles steckt, was den Sommer einmal so schön gemacht hat: der Himmel, das Meer, der Drink, 24 Grad, die Freunde - und: "You got women on your mind". Doch diesmal, wie soll man das jetzt sagen, hm, also: Beim dritten "Chh chh-chh, uh, chh chh-chh, uh" packt man das Radio und wirft es aus dem Fenster auf den Asphalt, der in diesem Suuuuuuuuupersommer schon Blasen wirft. Das Radio fällt weich und macht "plop".

Ich frage mich, ob es außer mir noch jemanden gibt, der diese ätzende Hitze einfach nur menschenverachtend, antizivilisatorisch und abgrundtief böse findet. Vermutlich nicht. Denn um mich herum gibt es eigentlich nur diese flirrende Chh-chh-uh-Laune und dazu wie in Endlosschleife Nachrichtenbilder von Freibadspaß und Biergartengeklingel. Und die Nachricht, dass es Usedom jetzt mit Rimini aufnehmen kann. Pinar Atalay verabschiedet sich in den Tagesthemen mit dem Satz "cool bleiben" und CDU-Mann Jens Spahn empfiehlt, gegen die Hitze Wärmflaschen in den Kühlschrank zu legen.

Das ist überhaupt die Zukunft: Die Ostsee wird zur Adria und Jens Spahn wird Bademeister auf Usedom. Auch dort gibt es, wie überall in Deutschland, diesem elenden Neubrasilien (nur leider ohne Schattenkultur), Männer in kurzen Hosen und Frauen mit fast gar nichts und einem Arschgeweih an. Aber wisst Ihr was, Ihr Kinder der Sonne: Hätte der liebe Gott gewollt, dass Männer kurze Hosen tragen, so hätte er ihnen kurze Beine oder den Frauen die Blindheit geschenkt. Gerade denen mit Arschgeweih.

Es heißt, dass man von der Hitze aggro wird. Kann sein. Absolut. Man sollte vielleicht eine nächstenliebende Kirche gründen, die die Kälte anbetet. Wer macht mit? Ich denke da an Pinguine, Wärmflaschenhersteller und Menschen, die kurze Hosen, Arschgeweihe und eng besetzte Schwitz- und Saunalandschaften (vormals: Innenstädte) nicht mögen. Und die darum beten, dass es bald wieder kalt wird. Und möglichst lange dunkel. Bis es aber endlich so weit ist, bis zum 21. Dezember also (noch ungefähr 150 Mal schlafen), wird man verreisen. Nach Pokka bei Kittilä in Finnland, wo es einmal minus 51,5 Grad kalt war. Im Winter. Das muss ein Suuuuuuuuuperwinter gewesen sein.

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