Süddeutsche Zeitung

Prozess um mutmaßliche Gruppenvergewaltigung:"Ich fühle mich, als hätte ich keine Ehre"

Lesezeit: 4 min

Von Thomas Hummel, Freiburg

Der Richter wollte am dritten Verhandlungstag eigentlich abbrechen und alle Beteiligten ins Mittagessen entlassen, doch Christiane Steiert bestand darauf, noch zu Wort zu kommen. Die Rechtsanwältin vertritt eine 18-jährige Frau, die in einer Oktobernacht von mehreren Männern abseits einer Freiburger Disco vergewaltigt worden sein soll. Steiert hatte eine Rede vorbereitet, weil sie das dringende Gefühl hatte, im Sinne ihrer Mandantin nun einschreiten zu müssen.

Von Beginn an hatte eine Aura der Anspannung über dem Prozess gelegen. Elf Männern zwischen 19 und 30 Jahren wird vorgeworfen, sich über mehrere Stunden nacheinander an der Frau vergangen zu haben. Zusätzlicher Druck herrscht durch die politische Dimension des Verfahrens, weil zehn Angeklagte Flüchtlinge sind, acht Syrer, ein Iraker, ein Algerier. Als das im vergangenen Herbst publik wurde, hatten Rechtspopulisten auf Freiburgs Straßen demonstriert, begleitet von Gegendemonstranten.

Einige der elf Pflichtverteidiger hatten eine Vorverurteilung in den Medien und sozialen Netzwerken kritisiert, ihre Mandanten und sie selbst würden massiv bedroht, das könne in einem Rechtstaat nicht angehen. Abseits der Verhandlungen hatten sie Journalisten verraten, die Beweislage sei unklar. Es gebe Aussagen, dass die Frau den Sex eingefordert habe, pikante Details wurden durchgestochen. Eine Verteidigerin sagte später, sie habe "Waffengleichheit" in der Öffentlichkeit herstellen wollen.

Abermals zum Opfer gemacht

Anwältin Steiert klagte nun, die Geschädigte werde verunglimpft und in ihrer Ehre verletzt. "Sie wird so abermals zum Opfer" und könne psychisch destabilisiert werden. Einem Sachverständigen zufolge vermeide die Frau seit der Tatnacht unübersichtliche Situationen oder größere Gruppen. "Die Verteidigung findet völlig unangemessen in der Öffentlichkeit statt", rüffelte Steiert ihre Anwaltskollegen. Zudem kündigte sie an, es werde sich erweisen, dass die Angaben der Angeklagten "grob falsch und wahrheitswidrig" seien.

Es ging mehr um die Deutungshoheit in der Welt da draußen, als um das Verfahren im Schwurgerichtssaal IV des Landgerichts. Dort haben die Dutzenden von Beteiligten (für jeden Angeklagten zwei Justizbeamte, dazu zwei Dolmetscher, fünf Sachverständige und Vertreter der Jugendgerichtshilfe) inzwischen sechs von insgesamt fast 30 angesetzten Verhandlungstagen hinter sich gebracht. Es deutet sich eine zähe Aussage-gegen-Aussage-Situation an, wie in so vielen Prozessen mit dem Vorwurf der Vergewaltigung. Allerdings machte zuletzt der Chefermittler der Polizei klar, dass es aus seiner Sicht schlecht aussieht für die Angeklagten. Einvernehmlicher Sex? Dafür gebe es keine Hinweise. Im Gegenteil.

Die 18-Jährige war mit ihrer Freundin in den Techno-Klub in einem schummrigen Außenbezirk Freiburgs gegangen. Laut Anklage kauften sie von zwei der Angeklagten je eine Pille hoch dosiertes Ecstasy. Anschließend soll der Hauptangeklagte Majd H. den beiden ein offenes Wodka-Getränk spendiert haben, die 18-Jährige trank es, ihre Freundin nicht. Danach habe Majd H. die Frau nach draußen gelockt, in ein kleines Wäldchen 50 Meter von der Disco entfernt, um ihr eine Tätowierung am Oberschenkel zu zeigen.

Hinweise auf "typischen Festhaltegriff"

Als die Frau wieder zurückgehen wollte, habe er sie gepackt und vergewaltigt. Anschließend seien nach und nach weitere Männer aus der Disco in das Wäldchen gegangen und hätten sich an ihr vergangen. Die Frau sei aufgrund von Alkohol, Ecstasy und einer vermuteten Substanz in dem Getränk in eine Art Drogenrausch gefallen, sei wehr- und hilflos gewesen. Ihren Angaben zufolge seien zehn bis 15 Männer an der Tat beteiligt gewesen, identifizieren könne sie aber nur Majd H.

Der Kriminalbeamte erklärte, dass die am Tatort und der Kleidung gefundenen Spuren mit den Aussagen der jungen Frau übereinstimmten. Sie habe zahlreiche Verletzungen gehabt: teils mehrere Zentimeter lange Kratzer nahezu am ganzen Körper, Hautabschürfungen, abgebrochene Fingernägel, Hämatome im Hals- und Brustbereich und an den Oberarmen. Letzteres, erklärte der Polizist, weise auf einen "typischen Festhaltegriff" hin. Das habe die Rechtsmedizin so eingeordnet.

Zudem wurden sichergestellte Tonaufnahmen vorgespielt. Einer der Angeklagten hatte auf seinem Handy eine App installiert, die alle Anrufe aufzeichnet. So konnten die Ermittler einige Gespräche rekonstruieren aus der Tatnacht. Im Hintergrund hörte man die Frau sagen: "Womit hat man so was verdient?" und "Ich fühle mich, als hätte ich keine Ehre. Mir ist kalt." Der Angeklagte hatte ihr irgendwann aus dem Wäldchen geholfen, dafür bedankte sich die Frau.

Ihre Freundin hatte sie in der Disko aus den Augen verloren und später wieder getroffen. Sie sagte aus, die 18-Jährige habe ihr noch in der Nacht von der Vergewaltigung berichtet, diese habe geweint und sei zusammengebrochen. "Es ist schrecklich und grausam und zum Teil unfassbar", erklärte die Freundin.

"Am Anfang war es komisch"

Während neun Männer zur Tatnacht schweigen wollen, weisen zwei Angeklagte alle Vorwürfe zurück. Majd H. ließ über seinen Anwalt erklären, den Geschlechtsverkehr habe die Frau ausdrücklich verlangt. Der einzige Deutsche unter den Angeklagten sagte umfassend aus und schilderte, wie ihn die Frau zum Sex quasi genötigt habe. Er sei dem Wunsch lediglich gefolgt. Sie sei stark unter Drogeneinfluss gestanden, das habe er ihren geweiteten Pupillen angesehen. "Am Anfang war es komisch. Aber sie machte nicht den Eindruck, dass sie nicht wusste, was sie macht", sagte der 25-Jährige und rief: "Ich bin kein Vergewaltiger!" Anschließend seien seines Wissens weitere Männer zu der Frau ins das Wäldchen gegangen.

Timo P. nimmt offenbar eine Schlüsselrolle in dem Verfahren ein, er hatte sich Tage nach der Tat freiwillig bei der Polizei gemeldet, weil er der Meinung sei, er habe nichts falsch gemacht. Die Beamten kamen offenbar aufgrund seiner Aussage auf die Spur einiger weiterer Angeklagter. Der Richter wies Timo P. einmal darauf hin, dass auch sexueller Missbrauch wehrloser Personen strafbar sei. Man könne eine Vergewaltigung auch ohne Gewalt begehen. Timo P. äußerte dann auch, dass ihn ein schlechtes Gewissen plage. Aber nicht der 18-Jährigen wegen. Sondern weil er fremdgegangen sei. Sein Freundin war während des Sex im Wäldchen in der Disco gewesen, Timo P. war wortlos zu ihr zurückgekehrt.

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