Süddeutsche Zeitung

Schriftart "Greta Grotesk":Schreiben wie Greta Thunberg

Lesezeit: 2 min

Von Silke Wichert

Natürlich sind es ausschließlich Großbuchstaben. Mit kleinen Lettern hat es der Protest nicht so, zu wenig aufmerksamkeitsstark, nicht linear genug, und nachempfunden ist die neue Schrift nun mal Greta Thunberg, der ultimativen Klima-Aktivistin der Stunde. Eine New Yorker Agentur hat aus ihrem selbstgemalten Plakat, mit dem sie anfangs noch allein neben dem Schwedischen Parlament demonstrierte, eine ganze Typografie entwickelt: die Greta Grotesk, für jedermann kostenlos zum Download verfügbar. Die "Fridays For Future"-Bewegung trägt jetzt also nicht nur buchstäblich die Handschrift der 16-jährigen Schwedin, sie hat jetzt auch ihr eigenes "Typeface", wie es im Englischen heißt, eine eigene Ästhetik.

Die Idee stammt von Tal Shub, Mitbegründer der New Yorker Designagentur Uno, die sich ebenfalls für den Umweltschutz engagiert. Er sei tief bewegt davon, wie viele Menschen dieses Mädchen inspiriert habe, wird Shub in einem Interview zitiert. Was ihn jedoch von Anfang an gewundert habe: "Da gibt es dieses ikonische Stück visueller Kommunikation - und keinem fällt so richtig auf, wie zentral dieses Design für die Bewegung ist."

Tatsächlich gibt es ja einen Haufen T-Shirts, Tassen und Aufkleber mit Greta-Konterfei und ihrem Slogan der ersten Stunde "Skolstrejk för klimatet". Man kann sein eigenes Gesicht am Computer in eine Vektorgrafik mit den "Greta-Braids" einfügen, und viele gehen mit ebensolchen Zöpfen und gelber Regenjacke im Kleine-Schwedinnen-Look auf die Demos. Offensichtlich sind wir mittlerweile so auf platt-plakative Motto-T-Shirts und Merchandising getrimmt, dass das eigentliche Design des Protests tatsächlich bislang kaum zur Geltung kam: das etwas eiernde "O", oder das "K", dessen unterer Schrägstrich einen Tick länger geraten ist. Kindlich unperfekte Großbuchstaben, die gerade deshalb umso eindringlicher wirken.

Werden auf Demos künftig alle Protest-Plakate gleich aussehen?

So wie die Schwulenbewegung die Regenbogenfarben oder die Anti-Atombewegung das Peace-Zeichen, hat diese Protestbewegung nun auch ihr Symbol. Und wäre der Anlass nicht so ernst, könnte man es geradezu schreiend komisch finden, dass es ausgerechnet eine Schriftart geworden ist, wo doch heute sonst vorzugsweise mit Emojis oder Akronymen "verdichtet" wird.

Aber Sprache ist eben nicht nur im wörtlichen Sinn mächtig, sondern auch im bildlichen: Die serifenlose, dafür raumgreifende Schrift "Engravers Gothic" beispielsweise signalisiert unterschwellig "Luxus", deshalb wird sie von Labels wie Balenciaga, Marc Jacobs oder Givenchy benutzt und immer noch gern auf Visitenkarten gedruckt. Die typischen Harry-Potter-Lettern - von denen es nur Nachahmungen, nicht die echten gibt - mit Blitzen in die senkrechten Balken eingebaut, stehen für abenteuerliche Magie.

Jedes "Typeface" spricht in einer anderen Sprache zu uns. Greta Grotesk, die jetzt prominent zwischen Futura und Helvetica Einzug hält, wird von nun an womöglich als die ultimative Protestschrift verstanden werden. Vor allem für den Klimaschutz, aber auch für andere Belange, für die sich (junge) Menschen laut und deutlich Gehör verschaffen wollen, und die sie deshalb am heimischen PC in entsprechenden Großbuchstaben verfassen.

Was Greta Thunberg selbst zu dieser Hommage sagt, ist nicht bekannt. Womöglich findet sie es gar nicht nur schmeichelhaft, sondern auch ein bisschen seltsam, dass jetzt alle Welt ihre Handschrift imitieren und für die nächsten dämlichen Motto-T-Shirts mit "How dare you!" missbrauchen kann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4638498
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.