Süddeutsche Zeitung

Gesetze im russischen Parlament:Schlüpfrige Ideen in der Duma

Lesezeit: 3 min

Sie kümmern sich um Unterwäsche, Pumps und Phalli: Russlands Parlamentarier sind in ihrer Regulierungswut besessen von sexuellen Themen. Weil sie bei wirklich wichtigen Fragen nichts zu melden haben?

Von Julian Hans, Moskau

Natürlich kommt es nicht auf die Größe an. Aber der Penis, der vergangene Woche bei Abgeordneten der russischen Staatsduma für Erregung sorgte, ist wirklich sehr, sehr klein. So klein, dass man ihn mit bloßem Auge kaum erkennen kann. Er lugt auf dem 100-Rubel-Schein zwischen den Beinen des griechischen Gottes Apoll hervor. Auf der Banknote ist die Quadriga-Statue abgebildet, die auf dem Vordach des Bolschoi-Theaters in der russischen Hauptstadt steht. Bei der Renovierung des Theaters vor einigen Jahren hatte man das Geschlecht des Wagenlenkers nachträglich mit einem Feigenblatt verhüllt. Doch auf dem 1998 in Umlauf gebrachten Geldschein ist Apoll nach wie vor unten ohne.

Bislang war das kaum jemandem bewusst. Geld ist auch im einstigen Zentrum der sozialistischen Welt nicht mehr als ein Tauschmittel, um dessen künstlerische Gestaltung sich allenfalls Spezialisten Gedanken machen. Das hat sich geändert, seitdem ein Abgeordneter der nationalistischen Schirinowski-Partei LDPR in einem Brief an die Zentralbank die Abbildung "intimer Körperteile" rügte und erklärte, er vermisse die vom Gesetz vorgeschriebene Kennzeichnung pornografischer Schriften "ab 18". Schließlich könne der Schein im Wert von umgerechnet 2,15 Euro leicht in die Hände von Kindern gelangen. "Ich fordere Sie dringend auf, die Gestaltung der Banknote zu ändern oder sie auf andere Weise in Einklang mit dem Gesetz zu bringen", schrieb Roman Chudjakow. Einen Vorschlag für die Neugestaltung hatte er auch parat: Wie wäre es mit dem Schwarzmeerhafen von Sewastopol auf der kürzlich von Russland annektierten Krim?

Kurz beugten sich die Russen über ihre Geldbeutel und schüttelten entgeistert den Kopf - manche über die pornografische Abbildung, die meisten aber über die bizarre Initiative aus dem Parlament.

Schräge Vorschläge für 15 Minuten Ruhm

Bizarr mag sie sein - ungewöhnlich ist sie deshalb nicht. Regelmäßig sorgen Abgeordnete des Hohen Hauses dafür, dass die Erregungskurve im Land nach oben schnellt, die Menschen in Kantinen und sozialen Netzen etwas zu tratschen haben und im Ausland die Zeile aus dem alten Boney-M.-Song "Rasputin" zitiert wird: "Oh, those Russians!" Der nationalistische Polit-Clown Wladimir Schirinowski hat sein Monopol auf schräge Vorschläge längst eingebüßt; Hinterbänkler aller Fraktionen haben sie als Mittel entdeckt, in einem ansonsten eintönigen und wenig selbstbestimmten Leben als Abgeordnete ihre 15 Minuten Ruhm abzustauben.

Ende Juni war die Reihe an Oleg Mitschejew von der Partei Gerechtes Russland. Er forderte von der Eurasischen Zollunion, Ober- und Untergrenzen für die Absätze an Schuhen festzulegen. High Heels schadeten der Gesundheit von Frauenfüßen, ebenso absatzlose Ballerinas. Träger flacher Sportschuhe nach Art der Converse Chucks bekämen Plattfüße und seien daher oft nur eingeschränkt wehrtauglich. Mit Spott reagierten die Pumps-verliebten russischen Frauen, die in der Lage sind, auf Zwölf-Zentimeter-Absätzen einen anfahrenden Trolleybus einzuholen, sogar bei Glatteis. Sollte der Vorschlag umgesetzt werden, verlören die Frauen im Geltungsbereich der Zollunion eine weitere Möglichkeit, sich sexy anzuziehen.

Eine Anfang des Jahres verabschiedete Vorschrift hatte bereits zur Folge, dass in Russland, Belarus und Kasachstan keine synthetische Spitzenunterwäsche mehr verkauft werden darf, weil sie nicht genügend Schweiß aufnehmen kann. Der Kommunistische Parlamentarier Iwan Nikitschuk regte zudem an, Frauen bis zum Alter von 40 Jahren das Rauchen zu verbieten. Rauchen in Gegenwart von Kindern solle für alle unter Strafe gestellt werden.

Dem Ärger über derlei Regelungswahn können die Bürger inzwischen auch nicht mehr uneingeschränkt Luft machen: Seit Anfang des Monats ist der Gebrauch von Flüchen in Medien, Filmen und Theaterstücken verboten.

Keine Debatten, nur stilles Kopfschütteln

So absurd sie erscheinen mögen - die Initiativen erfüllen durchaus einen Zweck. Während sich das halbe Land über Strapse, Pumps und Phalli aufregt, bleiben wichtige politische Entscheidungen fast unbemerkt. In den vergangenen Wochen wurde das Versammlungsgesetz ein weiteres Mal verschärft, privaten Fernsehsendern wurde verboten, Werbung zu zeigen, was ihnen praktisch die Existenzgrundlage entzieht. Für den Aufruf zum Separatismus drohen künftig bis zu vier Jahre Haft. Damit macht sich jeder strafbar, der behauptet, die Krim gehöre zur Ukraine.

Im Juni musste Finanzminister Anton Siluanow einräumen, dass das Geld, das Bürger in private Rentenfonds eingezahlt haben, für die Krim aufgebraucht wurde. An diesem Montag nun kündigte er Steuererhöhungen an. Gab es um diese Themen Debatten im Parlament? Nur stilles Kopfschütteln.

Stattdessen ist wie im Viktorianismus oder im Vatikan die Besessenheit von sexuellen Themen bei jenen am höchsten, die vorgeben, sie zu bekämpfen. Eine Initiative, das seit vergangenem Jahr gültige Verbot von Propaganda für Homosexualität auf Propaganda für Sexualität ganz allgemein auszudehnen, hatte dennoch keinen Erfolg. Immerhin hatten einige Unterstützer die gute Absicht, damit die Diskriminierung von Schwulen, Lesben und anderen "nicht traditionellen Formen der Sexualität" zu lockern.

Das Wirken der Abgeordneten hat sich längst auf das Ansehen des Parlaments und der Demokratie im Allgemeinen ausgewirkt. Bei einer Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts erklärten nur 39 Prozent, Russland brauche ein Parlament. 43 Prozent der Befragten waren der Meinung, das Land könne genauso gut durch Erlasse des Präsidenten regiert werden.

Welche Folgen der Kontrollverzicht hat, konnte man kürzlich auf Luftbildern bestaunen, die Mitarbeiter der Stiftung zur Bekämpfung der Korruption von den Anwesen der Brüder Boris und Arkadij Rotenberg aufgenommen hatten. Die beiden Putin-Vertrauten aus Petersburger Zeiten haben mit Großaufträgen vom Staat ein sagenhaftes Vermögen angehäuft, unter anderem beim Bau von Pipelines. Auch bei der Ausschreibung für die neue Leitung nach China sind sie dabei. Neben den Palästen, die sich die beiden im Moskauer Umland bauen ließen, wirken die Residenzen der Zaren wie Gesindehäuser. Manchen kommt es eben doch auf die Größe an.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2014
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