Süddeutsche Zeitung

Gérard Depardieu und die Russen:Tölpel von Saransk

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Gérard Depardieu bezeichnet sich als "freies Wesen". Genau das bezweifeln Spötter: Sie halten den Wahlrussen für verwirrt. In seiner neuen Heimat verhöhnt man den französischen Schauspieler.

Von Tim Neshitov

Gérard Depardieu weiß wohl wenig darüber, wie sich russische Publizisten derzeit auf seine Kosten amüsieren. Zuletzt anlässlich seines Besuchs in Saransk, der Hauptstadt von Mordwinien, 640 Kilometer südöstlich von Moskau. Dort promoviert die Pussy-Riot-Sängerin Nadezhda Tolokonnikowa in Lagerhaft über die "Philosophie von Aufständen", per Fernstudium. Depardieu hielt in Saransk seinen frisch gedruckten russischen Pass in die Kameras und schlüpfte in maßgeschneiderte, bunt bestickte mordwinische Tracht.

Das Ganze, schreibt ein Chronist auf grani.ru, erinnere doch an eine Erzählung des Literaturnobelpreisträgers Ivan Bunin aus dem Jahr 1925. Die Erzählung heißt "Der mordwinische Trägerrock" und beschreibt, wie ein unentschlossener junger Mann aus Moskau von einer Frau mit mordwinischer Tracht verführt wird. Die Frau ist zwar verheiratet und sogar schwanger, aber auch attraktiv. "Kommen Sie mal bei uns vorbei!", sagt sie. "Ich werde mich von Herzen freuen. Ich werde Ihnen meinen neuen mordwinischen Trägerrock zeigen (. . .) Sie hält in ihren Händen etwas Seltsames und Schreckliches: einen langen Kittel aus grobem Bauernleinen mit Biesen und Stickereien aus dunkelbrauner Seide an den Schultern, Ärmeln, auf der Brust. Sie zeigt ihn mir, wie sie nur kann, legt ihn auf ihren Körper, ihren vollen Busen und den sich rundenden Bauch und sieht mich fragend und freudig an."

Die Häme richtet sich nicht gegen Depardieus Steuerflucht, sondern gegen das Allerheiligste, gegen das, was Depardieu "amour de la vie" nennt, Liebe zum Leben. "Ich bin ein freies Wesen, Monsieur", schrieb er im Dezember in einem offenen Brief an den französischen Premier. Genau das bezweifeln seine Spötter in Russland.

Man hält Depardieu weniger für frei, als für verwirrt. Kurz nach seinem Ausflug nach Saransk lieferte die Tochter des usbekischen Diktators Islam Karimov den Spöttern neue Munition. Gulnara Karimova hat auf Twitter einen Videoclip veröffentlicht, den sie zusammen mit Depardieu aufnahm. US-Diplomaten bezeichneten die Frau einst in ihren Depeschen als "Räuber-Baronin" und "die am meisten gehasste Person in Usbekistan". Googoosha - das ist ihr Künstlername - zirpt über leere Straßen, dunkle Fenster und "Rätsel, die uns das Leben stellt". Depardieu haucht: "Excuse-moi." Der Song heißt "Der Himmel schweigt." Bevor Depardieu haucht, schaut er in ein Buch, das er sich vors Gesicht hält. Es sei ihr eigener Gedichtband, twitterte Karimova, Depardieu habe eins ihrer Gedichte singen wollen. Wenn sie nicht gerade Unternehmer in ihrer Heimat enteignet oder Modekreationen vorstellt, schreibt Googoosha Gedichte: "Verzeih mir für all das, was ich nicht gesagt habe."

Depardieus Steuerflucht, schrieb kürzlich die International Herald Tribune, sei vergleichbar mit dem, was westliche Konzerne tun, wenn sie ihre Fabriken nach China und ihr Management in die Vereinigten Arabischen Emirate verlagern. Weg von einer "chaotischen, teueren Demokratie hin zu einer günstigeren und einfacheren Autokratie." Doch Depardieu geht es eben um mehr als um Steuern. Mit seinem "amour de la vie" rebelliert er gegen westliche Maßstäbe von Gut und Böse, die er für verlogen hält. Die Personifizierung der Doppelmoral hat er in Dominique Strauss-Kahn gefunden, dem gescheiterten IWF-Chef, den er demnächst spielen will. "Ich liebe ihn nicht", sagt Depardieu. "Weil man ihn nicht lieben kann. Er ist ein bisschen wie all die Franzosen, ein bisschen arrogant, ich liebe die Franzosen nicht besonders."

Die Franzosen sind nicht besser als die Russen oder die Usbeken, das scheint Depardieus Botschaft zu sein. Er, ein "freies Wesen", begreife das. Deswegen will er laut Agence France-Presse nicht nur Strauss-Kahn spielen, sondern auch den byzantinischen Kaiser Justinian in einem Film über die Seidenstraße. Drehbuchautorin: Gulnara Karimova.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2013
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