Süddeutsche Zeitung

Geiselnahme in Paris:Retter aus der Kühlkammer

Lesezeit: 2 min

Von Carolin Gasteiger

Lassana Bathily spricht schüchtern, aber seine Worte sind von beeindruckender Kraft: "Wir sind Brüder. Es geht nicht um Juden, Christen oder Muslime. Wir sitzen alle im selben Boot, man muss sich gegenseitig beistehen, um aus so einer Krise herauszukommen."

Wie wenig es dem 24-Jährigen um Herkunft oder Religionszugehörigkeit geht, zeigt seine eigene Geschichte: Er stammt aus Mali, lebt in Paris, ist praktizierender Muslim und arbeitet in einem jüdischen Geschäft. Bathily ist Lagerist in dem koscheren Supermarkt an der Porte de Vincennes, in dem sich der islamistische Attentäter Amedy Coulibaly am Freitagmittag verschanzt hatte. Bathily hat nicht nur die Geiselnahme überlebt, bei der fünf Menschen starben. Er hat auch sechs Menschen das Leben gerettet.

Als Terrorist Coulibaly gegen 13.30 Uhr das Geschäft betritt und anfängt, um sich zu schießen, verrichtet Mitarbeiter Bathily im Untergeschoss sein Mittagsgebet, wie er dem französischen Sender BFMTV im Interview erzählt.

Mehrere Kunden flüchten vor den Kugeln ins Untergeschoss und treffen dort auf Lassana Bathily. Der junge Mann reagiert schnell und weist ihnen den Weg zu einem von zwei Kühlräumen. "Ich habe die Türe zum Kühlraum geöffnet und mehrere Menschen kamen mit mir mit. Dann habe ich das Licht und die Kühlung ausgeschaltet. Ich sagte ihnen, sich zu beruhigen und leise zu sein", erzählt Bathily BFMTV. Einer von ihnen bestätigte AFP, dass das Kühlsystem ausgeschaltet war und erinnerte sich an "mindestens fünf Personen, darunter ein Kind".

Als der Geiselnehmer bemerkte, dass sich mehrere Kunden versteckt hielten, schickte er eine Angestellte, um sie zu holen. Sollten sie nicht nach oben kommen, drohte Coulibaly, sie zu erschießen. Der Zeuge Rudi Hadid, der sich ebenfalls im Untergeschoss versteckte, erinnert sich, dass daraufhin vier Personen hochgegangen seien, "aber wir weigerten uns". Später hätten sie erfahren, dass Coulibaly gefragt habe, ob unten noch weitere Personen seien, was die anderen vier verneint hätten. "Sie haben uns das Leben gerettet", zitieren französische Medien Hadid.

Bathily will aber die versteckten Menschen in Sicherheit bringen und schlägt ihnen vor, mit dem Lastenaufzug zum Notausgang hochzufahren. "Aber sie hatten Angst", so Bathily weiter. Wenn sie raufführen, würde Coulibaly das Geräusch des Aufzugs hören, fürchteten sie. Daraufhin flüchtete Bathily allein. Aber gerettet war er noch nicht.

Als er aus dem Supermarkt kam, verdächtigten ihn die Sicherheitskräfte, der Attentäter zu sein. "Sie haben mir nicht geglaubt", erzählt Bathily. Eineinhalb Stunden lang wurde er in Handschellen festgehalten, bis ihn ein weiterer Angestellter, der sich aus dem Supermarkt retten konnte, identifizierte. Bathily, der seit vier Jahren in dem Laden arbeitet, konnte den Beamten einen Raumplan aufzeichnen; sein Kollege gab ihnen den Schlüssel zu einem Absperrgitter.

Katastrophen wie der Geiselnahme an der Porte de Vincennes generieren oft auch rührende Einzelgeschichten, wie die von Lassana Bathily. Zwar erzählt er im Fernsehinterview bescheiden, dass die Polizei dank ihm die Geiseln befreien konnte: "Sie haben sich bei mir bedankt." Aber das sehen viele Menschen anders. Sie stilisieren ihn zum Helden und fordern unter dem Hashtag #UneMedaillePourLassana Medaillen für einen, dessen Tat in all der Wut und Trauer von Paris für Menschlichkeit steht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2298890
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.