Süddeutsche Zeitung

Mordprozess:"Der Schlag kam aus dem Nichts"

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In Berlin steht ein 57-Jähriger vor Gericht, der den Chefarzt Fritz von Weizsäcker mit einem Messer getötet haben soll - aus Hass auf die Familie des Opfers. Der Angreifer leidet wohl unter einer schweren psychischen Krankheit.

Von Verena Mayer, Berlin

Gregor S. will gesehen werden. Als die Fotografen sich vor die Anklagebank drängen und seine Verteidiger sich aufstellen, um ihren Mandaten vor den Kameras abzuschirmen, da steht Gregor S. auf und streckt sich durch. Damit auch alle im Saal den Mann mit dem blauen Hemd, dem schütteren grauen Haar und der Brille erkennen können.

Vermutlich wollte der 57-Jährige auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt werden, als er sich am Abend des 19. November nach einem Vortrag in der Berliner Schlosspark-Klinik auf den Chefarzt für Innere Medizin, Fritz von Weizsäcker, stürzte und ihm ein Messer in den Hals stach. "Weil er seit Längerem Hass auf die Familie Weizsäcker verspürte", heißt es in der Anklageschrift. Aber so genau kann man das nicht sagen, denn Gregor S. ist wohl schwer psychisch krank und handelte möglicherweise wahnhaft.

Seit Dienstag muss sich S. unter anderem wegen Mordes vor dem Berliner Landgericht verantworten. "Herr S., Sie haben das Recht, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen", sagt der Vorsitzende Richter. Gregor S. richtet sich auf, als würde er gerne loslegen. Doch seine Verteidiger bremsen ihn. Der psychiatrische Sachverständige ist an diesem Tag nicht im Saal, und wenn S. aussagt, soll er anwesend sein. Denn alles, was der Angeklagte sagt, soll in das psychiatrische Gutachten einfließen. Und am Ende die wichtigste Frage des Prozesses beantworten: Inwieweit war Gregor S. schuldfähig?

Vor der Tat zerstörte S. seinen Laptop, um Spuren zu verwischen

Einiges spricht dafür, dass er wusste, was er tat. Gregor S., deutscher Staatsbürger, ledig, arbeitete als Lagerist in Andernach bei Koblenz und beschäftigte sich seit Jahrzehnten mit der Familie von Weizsäcker. Er recherchierte im Internet über den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, von dem Gregor S. glaubte, dass er in einer früheren Tätigkeit für ein Pharmaunternehmen "für die Produktion des Entlaubungsmittels 'Agent Orange', das im Vietnamkrieg Verwendung fand, mitverantwortlich sei", heißt es in der Anklageschrift. Ein Vorwurf, der den Anwälten der Familie zufolge an den Haaren herbeigezogen ist, der Gregor S. jedoch dazu getrieben haben soll, Fritz von Weizsäcker im Internet auszuspähen, um sich an ihm, dem Sohn Richard von Weizsäckers, für die Toten im Vietnamkrieg zu rächen.

Im November kaufte S. ein Klappmesser, buchte Hin-und Rückfahrt mit dem Zug von Koblenz nach Berlin und meldete sich für einen öffentlichen Vortrag des Chefarztes in der Schlosspark-Klinik an. Bevor er losfuhr, zerstörte er noch seinen Laptop, um Spuren zu verwischen.

Fritz von Weizsäcker war ahnungslos, als Gregor S. aus einer Zuschauerreihe auf ihn zukam. Es habe keine Drohungen gegeben, keine Hinweise darauf, dass die Familie im Fokus von jemandem stand. "Der Schlag kam aus dem Nichts", sagt Stephan Maigné, einer der Nebenklägervertreter der Familie von Weizsäcker. Der Chefarzt hinterlässt vier Kinder, davon sind zwei noch minderjährig. Für sie sei es besonders schwer zu verkraften, dass sie von einer Sekunde auf die andere ihren Vater verloren - einen Mann, der als Arzt anderen immer nur helfen wollte.

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