Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen nach Bluttat in Karlsruhe:Opfer des Geiselnehmers sollen obduziert werden

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Was passierte genau in der Drei-Zimmer-Wohnung in Karlsruhe? Am Freitag sollen die vier Opfer des Geiseldramas in Baden-Württemberg obduziert werden. Die Polizei erhofft sich neue Hinweise auf den Tathergang - und geht der Frage nach, wie der Arbeitslose an sein Waffenarsenal gelangte.

Nach dem blutigen Geiseldrama in Karlsruhe werden die Opfer am Freitag obduziert. Zunächst war die Obduktion für den heutigen Donnerstag angesetzt worden, wurde dann aber wegen einer Überlastung der Heidelberger Gerichtsmedizin um einen Tag nach hinten verschoben. Von den gerichtsmedizinischen und kriminaltechnischen Untersuchungen verspricht sich die Polizei unter anderem Aufschluss darüber, wann der Täter seine 55-jährige Lebensgefährtin tötete.

Zeugen hatten angegeben, bereits am Vortag schussähnliche Geräusche gehört zu haben. Es könne sich aber auch um einen Sektkorken oder eine Fehlzündung gehandelt haben, sagte ein Polizeisprecher. Geklärt werden soll mit der Obduktion ebenfalls, wie stark der Geiselnehmer unter Alkoholeinfluss stand.

Der 53-Jährige hatte am Mittwoch bei der Zwangsräumung seiner Wohnung den Gerichtsvollzieher, drei weitere Menschen und sich selbst getötet. Die Polizei untersucht auch das Dachgeschossappartement, in dem der Täter einen Teppich in Brand gesteckt hatte, weiter auf kriminaltechnische Spuren.

Die Ermittler wollen zudem herausfinden, woher der Mann seine Waffen hatte. In der Wohnung wurden zwei Gewehre, zwei Pistolen, eine Übungshandgranate, Munition und Fesselwerkzeug gefunden. Nun soll geprüft werden, ob der 53-Jährige, der aus der französischen Region Elsass stammt, die Waffen möglicherweise in Frankreich legal erworben hatte. Dafür hätten die deutschen Beamten am Donnerstag Kontakt zu den französischen Behörden aufgenommen, sagte ein Polizeisprecher.

Der arbeitslose Täter sollte mit seiner Partnerin aus der gemeinsam genutzten Drei-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss in der Karlsruher Nordstadt ausziehen. Seine Lebensgefährtin hatte die Wohnung durch eine Zwangsversteigerung verloren, weil sie Anliegerkosten und andere Zahlungen an die Eigentümerversammlung nicht mehr leisten konnte. Den Absturz ins soziale Nichts, der mit der Zwangsräumung drohte, habe der Mann womöglich nicht verkraftet, lautete am Mittwoch eine Vermutung der Ermittler.

Mit gefesselten Händen auf dem Sofa

Das Sondereinsatzkommando der Polizei hatte in der verrauchten Wohnung fünf Leichen gefunden: Der 47-jährige Gerichtsvollzieher und der 49-jährige neue Wohnungsinhaber saßen mit gefesselten Händen auf einem Sofa, beide waren mit Kopfschüssen getötet worden. Der 33-jähriger Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes lag mit mehreren Schussverletzungen in Brust und Kopf tot vor der Couch. Der Leitende Oberstaatsanwalt Gunter Spitz sprach später von einer "regelrechten Hinrichtung".

Der Täter hatte sich mit einem Schrotschuss in den Kopf getötet und zuvor seiner 55-jährigen Lebensgefährtin im Bett mit einem aufgesetzten Schuss in die Brust das Leben genommen.

Welch dramatische Szenen sich in den drei Zimmern der Wohnung abgespielt hatten, weiß die Polizei von einem Zeugen: einem Sozialarbeiter der Stadt, der dem Paar nach der Zwangsräumung eine neue Bleibe besorgen sollte und zunächst ebenfalls als Geisel genommen wurde - und dem der schwerbewaffnete Täter nach knapp einer Stunde die Freiheit geschenkt hatte.

Nach den Schilderungen des Sozialarbeiters kam es bereits morgens um acht Uhr zu der Geiselnahme. Demnach hatte der Täter die Gruppe ins Wohnzimmer gebeten und dann dem Gerichtsvollzieher in den Oberschenkel geschossen. Danach musste der Schlosser ihn und den neuen Wohnungsinhaber mit Kabelbindern auf der Couch fesseln. Als der Schlosser dann selbst gefesselt werden sollte und sich wehrte, sei er vom Täter in den Kopf und in die Brust geschossen worden. Danach ließ der 53-Jährige den Sozialarbeiter frei.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der Täter die Geiselnahme und die Ermordung seiner Opfer von Anfang an geplant hatte. Neben seinem Waffenarsenal hatte der 53-Jährige Fesselwerkzeug bereitgelegt.

Der Deutsche Jagdschutzverband teilte mit, dass der mutmaßliche Täter kein Jäger war: Er war weder bei der Waffen- noch bei der Jagdbehörde in Deutschland oder Frankreich gemeldet und besaß keinen Europäischen Feuerwaffenpass, hieß es in einer Mitteilung.

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