Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Drogenboss:Wegen "El Chapo" wird die Brooklyn Bridge gesperrt

Lesezeit: 3 min

Von Johanna Bruckner, New York

Wer in diesen Tagen die Eingangshalle des Eastern District Court in Brooklyn betritt, fühlt sich an den Kontrollbereich eines Flughafens erinnert. Es gibt einen Metall­detek­tor, ein Rönt­genband und bunte Plastikscha­len für den sicherheits­rele­van­ten Nippes: Lap­top, Han­dy, Schlüssel und ande­re metallische Gegen­stände. Die Sakkos der Justiz­wacht­meister spannen an Brust und Schultern - darunter blitzen schuss­si­che­re Westen. Der Grund für den enormen Sicher­heits­auf­wand ist ein Verfahren, das im Kalender des Bun­des­gerichts den sperrigen Titel "USA gegen Beltrán-Leyva et al." trägt. Gemeint ist einer der spektaku­lärsten Prozesse, den New York und die USA je gesehen haben dürften: der Staat gegen den mexika­ni­schen Drogenboss Joaquín Guzmán, ge­nannt "El Chapo", der Kurze.

Von diesem Dienstag an muss sich der 61-Jährige vor Gericht verantworten. 17 Anklage­punkte hat die Staatsanwaltschaft zusammen­getragen. Hauptvorwurf: Guzmán soll jahrzehnte­lang das von ihm mitbegründete Sinaloa-Kartell, benannt nach einem Bundesstaat im Westen Mexikos, ange­führt haben. Es geht um Drogenschmuggel, Mord, Waffengewalt und Geldwäsche. Der Kurze gilt als eine der größten Kartellfiguren der Geschichte. Als Guzmán im Januar 2017 aus seiner Heimat an die USA überstellt wurde, sagte der zuständige Staats­an­walt: "Wer ist El Chapo? Er ist ein Mann, der nur für eine Sache bekannt ist: ein Leben voller Verbrechen, Gewalt, Tod und Zer­störung."

Auch deshalb werden die Justiz­wacht­meister des Brooklyner Gerichts bei der Gebäudesicherung unterstützt: von schwerbewaffneten United States Marshals und einer taktischen Spezialeinheit der New Yorker Polizei. Mehrmals am Tag patrouillieren Beam­te mit Bombenspür­hunden durchs Gebäu­de. Die Zufahrtsstraße zum Gericht und der Luft­raum darüber sind gesperrt.

Eine Barbie-Party für El Chapos Töchter

Der Mann, der in den USA zeitweise als "Staatsfeind Nummer 1" galt, plädiert auf "nicht schuldig". Die Staatsanwaltschaft will ihn für seine mutmaß­lich­en Verbrechen nicht nur lebens­­länglich hinter Gitter bringen, sondern auch 14 Milliar­­den US-Dollar aus Guzmáns illegalen Geschäf­ten beschlagnahmen. Bislang ist es den amerikani­schen Behörden nicht gelungen, das Vermö­gen des Drogenbosses einzufrieren. Mitte September fanden Fotos ihren Weg in die Medien, die die verschwenderische Geburtstagsparty von El Chapos jüngsten Töchtern dokumentier­ten. Die Zwillinge durften ihren siebten Geburtstag in pinker Barbie-Schloss-Kulisse feiern.

Kostspielig wird wohl auch El Chapos Verteidigung werden. Bis zu fünf Millionen Dollar veranschlagte William Purpura, einer von drei Hauptanwälten Guzmáns, auf Nachfrage der New York Post für den voraussicht­lich viermonati­gen Prozess. Guzmán selbst gab bei einer der ersten Anhörungen vor Gericht an, seine Familie in Mexiko werde für die Kosten auf­kommen. Die musste nach einem Bericht der mexikanischen Zeitung El Universal aber erst von der Sinn­haftig­keit dieser Ausgabe überzeugt werden: Anfangs habe sich die Familie geweigert, zu zahlen - zu wenig aussichts­reich erschien Guzmáns Ver­tei­di­gung.

Für die amerikanischen Behörden ist das aber noch kein Hinweis darauf, dass der Ex-Kartell­chef ein Loyali­tätsproblem hat. Sie sichern Guz­mán, als könnte er jeden Moment von Mit­streitern entführt werden. Bereits zweimal war El Chapo in Mexiko dank Helfern die Flucht aus Gefäng­nissen gelungen. Seit seiner Auslieferung in die USA ist der 61-Jährige im Metropolitan Correctional Center in Manhattan untergebracht, einem Gefängnis mitten in New York, das im Ruf steht, härter zu sein als das umstrittene Militärgefängnis Guantánamo. 23 Stunden am Tag sitzt der Ausbrecherkönig dort allein in seiner Zelle, nur für eine Stunde darf er raus.

Stau wegen El Chapo

Um ihn ins Gericht auf der anderen Seite des East River zu bringen, wird jedes Mal die berühmte Brooklyn Bridge komplett für den Verkehr gesperrt. Ein Ärger­nis nicht nur für Autofahrer im ohnehin dauerhaft auf Kante genähten New Yorker Verkehr, sondern auch Anlass zur Sorge für Guzmáns Verteidiger­team. Die Anwälte äußerten vorab die Befürch­tung, die Vollsperrung der Brücke könnte pendelnde Jurymitglieder gegen ihren Man­danten aufbringen. Voreingenommenheit aus Staufrust - den Richter überzeugte das nicht. Er sorgte sich mehr um das Wohlbefin­den der Geschworenen: Ihre Identität wird aus Sicherheits­gründen geheim gehalten. El Cha­pos Rache ist gefürchtet. Zuletzt war ein mexikanischer Richter, der eine Rolle bei Guzmáns Auslieferung an die USA gespielt hatte, beim Joggen mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet worden.

Guzmáns Anwälte versuchen hingegen, die menschliche Seite ihres Mandanten zu betonen. Kurz vor Prozessbeginn wandten sie sich schriftlich an Richter Brian Cogan und baten ihn um eine "humanitäre Geste": Guzmán wolle zu Prozessbeginn am Dienstag seine Frau umarmen. Notfalls öffentlich, und nur ganz kurz. Cogans Antwort: Er habe zwar Mitgefühl mit dem Angeklagten - doch dessen Fluchtmotivation sei "besonders stark" ausgeprägt. Antrag abgelehnt.

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