Süddeutsche Zeitung

Skurrile Spendenaktion:Biete heiß geliebte Mütze für 1000 Euro

Lesezeit: 3 min

Ein Zehnjähriger gibt aus Versehen viel Geld in einem Handyspiel aus. Um den Eltern die Summe zurückzuzahlen, will er seine Mütze mit Autogrammen von Fußballprofis verkaufen. Doch es kommt anders.

Von Veronika Wulf

Am Mittwoch vergangener Woche sahen die Eltern offenbar keine andere Möglichkeit mehr. "Unser Sohn bietet seine heissgeliebte Mütze mit Original Autogrammen verschiedener Fußballspieler zum Kauf an", schrieben sie auf der Verkaufsplattform Ebay-Kleinanzeigen und stellten das Bild einer schwarz-weiß gestreiften Mütze dazu.

Der Zehnjährige habe "unbewusst über 1000 Euro" für In-App-Käufe eines Handyspiels ausgegeben, heißt es dort weiter. "Nun möchte und muss er das irgendwie zurückzahlen." Es seien Originalunterschriften von Jogi Löw, Philipp Lahm, Oliver Bierhoff und vielen anderen darauf. Beim Preis steht nur: "Verhandlungsbasis."

Nun kommt es auf solchen Onlineplattformen immer wieder vor, dass Menschen mit rührseligen Geschichten versuchen, Gutmütigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Doch in diesem Fall ist es anders. Die Anzeige taucht drei Tage später auf dem Instagram-Account @bestofkleinanzeigen1 auf, der immer wieder kuriose Angebote teilt. Hinter der Seite steht ein 28-jähriger Hamburger, der im Netz unter dem Künstlernamen Marcel Rolf unterwegs ist. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, schließlich habe er auch noch einen "richtigen Beruf".

Rolf wollte helfen. "Jeder baut mal Mist als Kind", sagt er am Telefon. "Als Zehnjähriger hat man einfach nicht auf dem Zettel, wie viel man arbeiten muss für 1000 Euro." Er schrieb der Familie, die ihn zunächst nicht ernst nahm. "Die dachten zuerst, ich nehme sie auf den Arm." Denn dadurch, dass er die Anzeige geteilt hatte, bekam die Familie auch jede Menge negative Zuschriften: Beleidigungen, Neid, Erziehungstipps. "Das Internet ist anstrengend", sagt Rolf, dem eine halbe Million Abonnenten auf Instagram folgen. "Da weiß jeder alles besser."

Nach 15 Minuten waren die 1000 Euro beisammen

Insofern sah er sich auch mitschuldig an der unerwarteten Nachrichtenflut. Er startete einen Online-Spendenaufruf. 15 Minuten später waren die 1000 Euro da. 178 Menschen hatten gespendet, die meisten fünf Euro. Marcel Rolf schickte der Familie das Geld. "Erst als die 1000 Euro per Paypal da waren, haben sie anscheinend geglaubt, dass das echt ist", erzählt er.

Die Familie will anonym bleiben und keine Interviews geben, es soll nicht noch mehr ungebetene Erziehungstipps hageln. Doch am Samstag konnte man erfahren, was Mutter und Sohn über die Aktion denken. Marcel Rolf rief sie noch einmal an und streamte das Gespräch live im Internet, wie man das so macht als erfolgreicher Content-Creator. "Wie viele hören mich denn jetzt?", fragt die Mutter am Anfang unsicher. "Nur ein paar Leute", sagt Marcel Rolf, also etwa 600. Natürlich ist die Aktion auch Werbung für seinen Kanal.

Die Mutter erzählt: Ende November kam die Abrechnung ihrer Kreditkarte, die sie kaum nutze. Mehr als 1200 Euro statt der üblichen 200 bis 400. "Oh Gott, vielleicht hat uns jemand die Kreditkarte gehackt", habe sie gedacht. Ihr Mann ließ die Karte sperren. Sie fand heraus: das Geld ging an iTunes, wegen zahlreicher In-App-Käufe. Der zehnjährige Sohn, der zum neuen Schuljahr ein Smartphone bekommen hatte, hatte ein Spiel gespielt, mit "kleinen, niedlichen Figuren, die zwar schon kämpfen, aber nicht so ein schlimmes Spiel". Sie habe eigentlich deaktiviert, dass man "Diamanten und solche Sachen" im Spiel kaufen kann, doch der Sohn habe das wieder umgestellt. Es folgten Anrufe bei der Bank, beim Spielebetreiber, beim Anwalt. Der riet: Die Firma hat ihren Sitz im Ausland, eine Klage sei aufwendig und teuer, sie sollten es lieber lassen.

Zwei Happy Ends - eins steht noch aus

Der Sohn wollte helfen. "Er hat halt schon gemerkt, dass uns das ziemlich viel Zeit, Belastung und Nerven gekostet hat", erzählt die Mutter. Er könne ja online seine alten Sachen verkaufen, schlug er vor. Doch mit Büchern und CDs kamen nur 15 Euro zusammen. "Und dann meinte er: Meine Mütze ist ja vielleicht mehr wert." Als Rolf den Jungen am Telefon fragt, ob er daraus gelernt habe, ist ein sehr reumütiges "Jaaa" zu hören. Und: "Ähm, vielen Dank, dass Sie sich gemeldet haben." Die Mutter kündigt an, die Mütze an Rolf zu schicken und die Hälfte des Geldes an ein Kinderhospiz zu spenden.

Falls sie ihrem Sohn diesen Artikel gerade laut vorliest, sollte sie nun aufhören (obwohl dem Jungen zuzutrauen ist, dass er ihn selbst im Netz findet). Denn es gibt da noch eine Abmachung, von der der Kleine wohl nichts weiß: Anfang März, zu seinem elften Geburtstag, will Marcel Rolf ihm die Mütze zurückschicken. "Ich gehe mal davon aus, dass der Junge seine Lektion gelernt hat", sagt Rolf.

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