Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Herr/Frau/Kundschaft

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Die Deutsche Bahn spricht eine non-binäre Person als "Herr" an. Die Person geht dagegen vor, ein Gericht gibt ihr nun recht. Was zu der Frage führt: Was geht ein Unternehmen überhaupt das Geschlecht seiner Kundschaft an?

Von Marcel Laskus

Die Welt der Deutschen Bahn funktioniert für gewöhnlich recht binär. Ein Zug ist entweder pünktlich oder zu spät, eine Schaffnerin entweder liebenswürdig oder pedantisch, und wer eine Fahrkarte buchen möchte, der muss angeben, dass er eines von beidem ist: ein "Herr" oder eine "Frau". Seit Dienstagmittag ist eine dieser Gewissheiten einmal mehr hinfällig. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main gab einer Person recht, die sich von der Bahn diskriminiert fühlt. Denn René_ Rain Hornstein, so nennt sich die Person, wird von der Bahn als "Herr" angesprochen, obwohl sie sich als nicht-binär identifiziert. Das Gericht hat nun entschieden, dass die Vertriebstochter der Bahn es von Januar 2023 an unterlassen soll, die klagende Person mit dieser falschen Anrede zu diskriminieren. Außerdem muss die Bahn an Hornstein eine Entschädigung in Höhe von 1000 Euro zahlen.

Das Urteil liefert das jüngste Beispiel für die Behäbigkeit der Bahn, immerhin hat das Bundesverfassungsgericht schon 2017 klargestellt, dass es in Deutschland auch die Angabe eines Geschlechts jenseits von Mann und Frau geben muss, eine "dritte Option". Seitdem kam es immer wieder zu Urteilen, die Firmen dazu verpflichtet haben, mit ihrer Kundschaft so zu kommunizieren, dass es als geschlechtersensibel gilt. Beim Fernbusunternehmen Flixbus ist es etwa möglich, als Anrede schlicht "Person" auszuwählen.

Andererseits führt das Urteil zu der Frage, inwiefern eine passgenaue Ansprache von einem Beförderungsunternehmen an seine Kundschaft überhaupt nötig ist. Natürlich hat jeder Mensch das Recht, wenn er denn angesprochen wird, auch richtig angesprochen zu werden. Nur, für die Buchung einer Zugfahrt ist das Geschlecht ähnlich relevant wie die Schuhgröße für die Bestellung eines Eisbechers und der Bizeps-Umfang für einen Zoobesuch.

"Hallo!" statt "Sehr geehrter ..."

Ein Anruf bei Michael Martens. Er ist Gründer von "Fairlanguage", einem Beratungsunternehmen, das Firmen dabei hilft, zeitgemäß und "fair" zu kommunizieren. Einer der Kunden ist der Autohersteller Audi, der sich zum Ziel gesetzt habe, seine Sprache intern und extern zu aktualisieren. Laut Martens bekomme ein Konzern mit dem Motto "Vorsprung durch Technik" einfach ein "Glaubwürdigkeitsproblem", wenn er wie in den 1980er-Jahren kommuniziert. Ihm sind aber auch die Sorgen der Firmen bekannt, wonach den Kunden doch etwas fehlen würde, wenn sie nur noch mit "Guten Tag, Klaus Müller" angesprochen werden und nicht mehr mit "Sehr geehrter". Ungerechtfertigt sei das aber, weil klassische Ansprachen ja weiterhin bestehen können, neben einem zusätzlichen non-binären "Hallo". Mehr noch: Warum sollte sich die Kundschaft nicht aussuchen, wie sie genannt wird? Ob "Frau Prof." oder "Herr Magister" oder "Sehr geehrte Person". Das zu ermöglichen, findet Martens, sei zeitgemäß.

Bei der Deutschen Bahn betont man, dass "Diversity" natürlich "Chefsache" sei. Bloß sei die Umstellung eben "in einigen Fällen technisch einfacher als in anderen". Den internetnutzenden Betrachter mag das überraschen, immerhin bekommen andere Firmen das ja auch hin. Was aber auch stimmt: Für die Ansprache nicht-binärer Personen existiert bisher nichts, was einer Art DIN-Norm entspräche. Oder wie ein Bahn-Sprecher es ausdrückt: "Die Vorstellungen selbst innerhalb der betroffenen Personengruppe gehen derzeit noch weit auseinander."

Bis es einen Standard gibt, wird die Bahn ebenfalls experimentieren und bis spätestens 2023 liefern müssen. Wirklich bedauerlich ist das Ganze ohnehin nur für die Personengruppen der Datenanalysten und Marketing-Spezialistinnen. Denn Daten, die sich nicht in starre Kategorien einordnen lassen, können in der Marktforschung schlechter verwertet werden. Etwa für Erkenntnisse dazu, ob und warum Männer ihre Bahnfahrten anders buchen als Frauen.

Utopisch gedacht könnte das Urteil, das anstrengend klingt, zu einer Verschlankung führen. Die seit 2018 geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat zwar aufgrund der seitdem dauerpräsenten Cookie-Banner zu einer Vervielfachung der täglichen Mausklicks geführt. Netterweise sieht die DSGVO aber unter anderem auch eine "Datenminimierung" vor. Erhobene Daten, so heißt es, müssen "dem Zweck angemessen" sein. Was bei der Konstellation Geschlecht/Bahnfahrt eher nicht der Fall ist. Und damit: Guten Tag an alle.

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