Süddeutsche Zeitung

Detmold:Entsetzen nach Tod eines Dreijährigen

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Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Weiße und pinke Orchideen stehen in dem einen Fenster, in dem anderen hängt ein weißes Herz über einer halben Gardine. Eine der beiden Erdgeschosswohnungen in dem dreistöckigen Mehrfamilienhaus mit der schmutzig-beigen Fassade ist jetzt ein Tatort. Polizistinnen und Polizisten haben vor dem Hauseingang im Nieselregen Bauzäune mit roten und blauen Planen aufgebaut. Mehrere Streifenwagen parken in der Straße, wie auf Fotos zu sehen ist. Die Spurensicherung ist seit Stunden da, eine 15-köpfige Mordkommission der Polizei Bielefeld ermittelt. Jemand hat Blumen abgelegt, Grablichter angezündet.

Das Verbrechen, das in der Stadt Detmold in Ostwestfalen-Lippe passiert ist, sorgte am Donnerstag für Entsetzen weit über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus: Eine 15-Jährige steht im Verdacht, ihren dreijährigen Halbbruder in der heimischen Wohnung getötet zu haben. Die Halbgeschwister sollen gemeinsam mit ihrer Mutter in der Mietwohnung im ruhigen Ortsteil Klüt gelebt haben. Hier im Norden der 73 000-Einwohner-Stadt Detmold leben vor allem Familien in einfachen Miets- und Reihenhäusern. Der kleine Junge war von Angehörigen am Mittwochabend gegen 21 Uhr tot in dem Haus gefunden worden. Die Leiche des Kindes wies mehrere Stichverletzungen auf, die ältere Schwester war verschwunden. "Es spricht alles für ein Messer", sagte der Sprecher der Detmolder Staatsanwaltschaft, Christopher Imig, am Donnerstagmorgen. Die Obduktion bestätigte später diesen Verdacht. Rechtsmediziner in Münster kamen am Mittag zu dem vorläufigen Ergebnis, dass der Junge an "multiplen Stichverletzungen" starb.

Mit Helikoptern, Polizeihunden und einem Großaufgebot der Polizei wurde die ganze Nacht nach dem flüchtigen Teenager gesucht. Familienangehörige der Geschwister waren zuvor befragt worden. Die Polizei bat am Donnerstag schließlich die Bevölkerung um Mithilfe. Auf dem Fahndungsfoto ist ein fröhlich-lächelndes Mädchen zu sehen. Die langen dunklen Haare sind zu einem Zopf gebunden, der ihr rechts über die Schulter fällt, der Pony ist schräg in die Stirn gekämmt. Auf dem Bild schmiegt sie sich an eine Person, die auf dem Fahndungsfoto abgeschnitten ist.

Als die Polizei das Mädchen in Lemgo verhaftet, ist es "in ruhiger Verfassung"

Es ist ein Passant, der der Polizei am Donnerstagmorgen den entscheidenden Hinweis auf die Flüchtige gibt. Der Mann glaubt, die 15-Jährige im zehn Kilometer entfernten Lemgo gesehen zu haben. Ein Polizist nimmt sie wenig später im Stadtteil Brake fest, sie habe dabei keinen Widerstand geleistet, sagte Oberstaatsanwalt Imig vor Kamerateams und Medienvertretern in Detmold. Sie sei "in ruhiger Verfassung" gewesen. Wie die Schülerin in die benachbarte Stadt gekommen ist und wo sie die Nacht verbrachte, wisse man bisher nicht.

Bei der Polizei Detmold habe sich die Jugendliche im Beisein eines Pflichtverteidigers zu den Tatvorwürfen geäußert, am Freitag soll sie einem Haftrichter am Amtsgericht Detmold vorgeführt werden. Der müsse dann über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls wegen Totschlags entscheiden, teilte die Polizei Bielefeld am Nachmittag mit.

Imig hatte eindringlich vor Spekulationen über die Hintergründe der Tat und die Motive der Jugendlichen gewarnt: "Sie ist 15. Und für Jugendliche im Strafverfahren, egal was sie gemacht haben, gilt ein besonderer Schutz."

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Quelle:
SZ vom 08.11.2019
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