Süddeutsche Zeitung

Geschichte der New Yorker Subway:Ein Rohrpostsystem für Züge

Lesezeit: 3 min

1870 stellte Alfred Ely Beach den Prototypen einer U-Bahn vor, die per Turbine durch den Tunnel geschossen wurde. Das begeisternde Projekt scheiterte an einem korrupten Politiker, an den Erfinder erinnert sich kaum jemand.

Von Sofia Glasl

Musik in der U-Bahn hat heute eher abschreckende Wirkung. In Großstädten können sich Fahrgäste weltweit kaum noch den schrammelnden Straßenmusikanten entziehen, die in Bahnhöfen und Zügen für Geld aufspielen. Nicht wenig müssen New Yorker Tunnelarbeiter gestaunt haben, als sie 1912 zu einem vergessenen Bahnsteig aus dem 19. Jahrhundert durchbrachen und einen Konzertflügel vorfanden. Der gehörte einst zum Inventar einer Haltestelle, die auch noch mit Kronleuchtern, Spiegeln, einer amtlichen Standuhr und einem Springbrunnen ausgestattet war. Unter der New York City Hall im Stadtteil Tribeca gelegen, war sie in Vergessenheit geraten, obwohl sie einst die Geburtsstätte der Subway schlechthin war. Die wurde erst 1904 gebaut - 30 Jahre nach der Stilllegung der Piano-Haltestelle.

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert hatte New York rasant wachsen lassen. Die in den 1830er-Jahren eingeführten Pferdebahnen reichten nicht mehr aus für den Verkehr. Die New York Tribune polterte: "Wir können den halben Weg nach Philadelphia in weniger Zeit zurücklegen, als vom einen Ende des Broadways zum anderen zu gelangen." So zitiert es der Boston Globe-Autor Doug Most in "The Race Underground: Boston, New York, And the Rivalry that Built America's First Subway" von 2014. In den 1850er-Jahren näherte sich die Bevölkerungszahl einer Million. Die Erfindung der Eisenbahn war der Anfang eines sich immer weiter ausbreitenden Verkehrsnetzes, was den Pendlern wortwörtlich freie Fahrt ermöglichte und einen Verkehrsinfarkt heraufbeschwor.

Der Unternehmer und Erfinder Alfred Ely Beach wollte etwas dagegen tun. 1846 hatte er mit einem Partner das Wissenschaftsmagazin Scientific American gekauft und zur landesweiten Marke ausgebaut. Sie schlossen eine Agentur an, die Erfindern dabei half, Patentanträge zu stellen - Thomas Edison, Samuel Morse und Alexander Graham Bell waren dabei. 1848 übernahm Beach die Tageszeitung The New York Sun von seinem Vater und war mit gerade 22 Jahren ein renommierter Herausgeber und Vertrauter der Tüftler.

In einem Artikel des Scientific American vom 3. November 1849 schlug Beach als Lösung des Verkehrsproblems vor, Züge in einem Tunnel unter dem Broadway fahren zu lassen und an jeder Kreuzung Stationen einzurichten. Damit könne die Strecke inklusive Stopps in einer Stunde zurückgelegt werden. Die Tageszeitungen lachten ihn nur aus, damit war die Idee einer U-Bahn zunächst gestorben. Doch Beach war stur und überzeugt von seinem Vorhaben. Als 1863 in London die Underground eröffnete und kurz zuvor das erste Rohrpostsystem in Betrieb genommen worden war, kam Beach die Idee, das pneumatische Prinzip der Rohrpost auf den Personentransport anzuwenden. Er wollte Waggons von großen Turbinen durch unterirdische Kanäle schießen lassen. Diese menschliche Rohrpost klingt eher nach rasantem Vergnügungspark als nach einer praktikablen Lösung für den täglichen Arbeitsweg, doch gelang es Beach tatsächlich, die Technik zu übertragen.

Er stellte seine Entwicklung 1867 auf der American Institute Fair vor. Die Presse war endlich überzeugt. Einen Haken gab es noch, der hieß William "Boss" Tweed, ein korrupter Senator und Boss der New Yorker Unterwelt. Er hielt damals bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln die Hand auf und duldete keinerlei Konkurrenz.

Wie so oft scheiterte auch diesmal ein Projekt an korrupten Politikern. Doch der findige Beach ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Er beantragte in einem zweiten Verfahren die Genehmigung für eine Rohrpostanlage unter dem Broadway - nur Briefe, kein Personentransport. Der Antrag wurde durchgewinkt; das nachgereichte Gesuch um die Erweiterung des Tunneldurchmessers fiel keinem mehr auf. Klammheimlich hatte Beach sich die Infrastruktur für die Beach Pneumatic Transit Company erschlichen und baute im Geheimen den ersten Prototyp. Er mietete sich im Keller eines Bekleidungsgeschäftes ein und ließ einen 95 Meter langen Tunnel graben - nachts, versteht sich, damit niemandem auffiel, dass viel mehr Baumaterial im Untergrund verschwand als für eine Rohrpostanlage nötig.

Ein Journalist enttarnt den Tüftler

Im Januar 1870 leakte letztendlich ein als Handwerker eingeschleuster Journalist die geheime Agenda und nötigte Beach dazu, die Bahn schnellstmöglich zu eröffnen. Am 26. Februar 1870 konnten sich Politik und Presse von der Funktionstüchtigkeit und Eleganz des Systems überzeugen - und waren von den Socken. Anders als die von einer keuchenden Dampflok betriebene Londoner Underground war die pneumatische Bahn absolut sauber, und der Wartesalon war alles andere als ein Schmutzloch. Der aus Indiana angelieferte Ventilator "Western Tornado" pustete den Wagen problemlos zur Haltestelle und erzeugte für den Rückweg ein Vakuum, das ihn wieder zum Ausgangspunkt saugte - auf einer ähnlichen Idee basiert das von Elon Musk initiierte Hyperloop-Projekt in Los Angeles.

Warum aus dem pneumatischen Transportsystem trotzdem nichts wurde? Tweed ließ seine Beziehungen spielen und legte Beachs Pläne auf Eis. Nachdem Tweed 1871 für seine Betrügereien ins Gefängnis kam, wurden alle Anträge durchgewinkt, doch leider zu spät. Während der Wirtschaftskrise 1873 sprangen die Investoren ab. Ironie des Schicksals: Nach Tweed wurde ein Gerichtsgebäude benannt, an Beach erinnert sich heute kaum jemand mehr. Aus dem Tunnel wurde ein Schießstand, später ein Weinkeller, und zuletzt musste er geschlossen werden. Heute ist er Teil des weitverzweigten New Yorker Metro-Systems, ein Umstand, der Beach vermutlich gefallen hätte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4154049
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.