Süddeutsche Zeitung

Corona-Panne:Wenn ein Mächtiger sich verzettelt

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Der tschechische Ministerpräsident liest seine neuesten Corona-Botschaften von einem Blatt Papier ab, auf dessen Rückseite etwas ganz anderes steht. Jetzt ist er in Erklärungsnöten.

Von Viktoria Großmann

Zu allem Positiven, das die Corona-Krise der Umwelt beschert, gehört vermutlich auch ein sinkender Papierverbrauch. Wie alles Fassbare erlebt das Papier gerade eine Abwertung als potenzieller Virenträger. Anfassen war gestern, kontaktlos ist heute. Das ist schade, weil mit dem Papier nicht nur die Handschrift verloren geht, sondern auch die schnelle Notiz, die Gedankenstütze, der Einkaufszettel - auf dessen Rückseite der Bescheid vom Finanzamt gedruckt ist. Real existierende Zettel offenbaren mehr vom Leben des Schreibers oder der Schreiberin als so manche Whatsapp. Und manchmal auch mehr Privates, als man beabsichtigt hatte.

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš neigt dazu, sich alles auszudrucken. Wirklich alles, auch das Internet. Wenn er sich wöchentlich per Video - in seinem Format "Ciao, Leute" - an sein Volk wendet, sitzt er vor Papierstapeln. Er raschelt, liest ab, hält Zettel in die Kamera, jüngst zum Beispiel Ausdrucke von Nachrichten-Websites, auf denen die tschechische Maskenpflicht gelobt wird. Beim Sprechen beschlägt ihm die Brille, das ist der Nachteil vom Mundschutz-Tragen.

Ihm Papierverschwendung vorzuwerfen, wäre voreilig. Der Premier ist für seine Sparsamkeit bekannt. Er benutzt jedes Blatt zweimal. Auf einigen Rückseiten sind handschriftliche Notizen zu sehen. Bei seinem jüngsten Auftritt las er von einem Blatt ab, auf dem hinten drauf eine Korrespondenz auf Firmenbriefpapier ausgedruckt war. Jene Firma hatte ihm früher einmal gehört, bevor er sie nach eigenen Angaben in einen Treuhandfonds auslagerte. Die EU allerdings nimmt ihm nicht ab, dass er mit der Firma keine Geschäftsbeziehungen mehr hat, und wähnt ihn in einem Interessenkonflikt.

Auf der Vorderseite des Papiers stand etwas über die Auswirkungen einer gezielten Durchseuchung der Gesellschaft mit dem Virus. Aber das interessierte die tschechischen Politik-Exegeten weniger als die Geschäftsbeziehungen des Premiers. Seine Partei allerdings hatte eine ganz einfache Erklärung dafür, wie der Firmenbriefkopf auf den Babiš-Zettel kam: Er habe nur die E-Mail seines Gesundheitsministers in jener Firma ausgedruckt. Wahrscheinlich hat er im Heimbüro keinen Drucker. Man nennt das Nachbarschaftshilfe.

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