Süddeutsche Zeitung

"Jedermann":Haarspalterei in Salzburg

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Erstmals in der Geschichte der Salzburger Festspiele trägt die Buhlschaft keine wallende Mähne. Eine Sensation? Ach was!

Von Christian Mayer

Oft ist es schwül und drückend heiß im Salzburger Festspielsommer, als Besucher auf dem Domplatz klebt einem das Hemd am Körper. Aber ein bisschen mitleiden gehört halt schon dazu, wenn man dieses Theaterspektakel erleben möchte: Hofmannsthals "Jedermann", das Drama vom Sterben des reichen Mannes, dem erst das pralle Leben in Gestalt der schönen Buhlschaft und dann der Tod begegnet. Seit mehr als hundert Jahren kommt hier fast alles darauf an, wer die Hauptrollen spielt, den Jedermann und seine Gespielin: Jede Neubesetzung gilt daher als Sensation, jede neue Buhlschaft muss erst den großen Boulevardcheck durchlaufen, eine Komplettdurchleuchtung, bei der nicht nur auf schauspielerische Fähigkeiten, sondern mehr noch auf Äußerlichkeiten und haarfeine Unterschiede geachtet wird, die in Salzburg seit jeher eine Rolle spielen.

In diesem Jahr stehen zwei prominente Jedermann-Debütanten, Lars Eidinger und Verena Altenberger, auf der breiten Bühne vor dem Dom, sie folgen auf Tobias Moretti und Caroline Peters. Und seit Beginn der Theaterproben in dieser Woche wird diskutiert: Schließlich stand da bei der offiziellen Präsentation eine Verena Altenberger mit raspelkurzem neben einem Lars Eidinger mit schulterlangem Haar auf der Dachterrasse des Festspielgebäudes. Ein Rollentausch? Aber nein: Verena Altenberger wird als neue Buhlschaft auf die sonst übliche Wallemähne verzichten, weil sie vor Kurzem in einem Liebesdrama eine Krebskranke spielte. "Ich musste mir natürlich von den Festspielen bescheinigen lassen, dass ich mir für den Film die Haare abrasieren darf", gab sie zu Protokoll.

Was zur Hölle, könnte man nun mit Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Jedermann-Figur sagen: Leben wir nicht im Jahr 2021, wo alle Menschen das Recht auf gute und schlechte, raumgreifende und nicht existente Frisuren haben, aber grundsätzlich so herumlaufen können, wie sie wollen?

Die Buhlschaft und die Gegenwart

Ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht. Schließlich stehen die neuen Hauptdarsteller in einer langen Tradition. Die Buhlschaft ist bei Hofmannsthal eben keine differenzierte Frauenfigur, sie steht sinnbildlich, manche finden auch peinlich-plakativ, für weibliche Lust, Sinnlichkeit und Wankelmütigkeit - wehe dem Mann, der ihre Erwartungen enttäuscht. "Ein Bub liebt frech und ohne Art, ein Mann ist großmütig und zart. Hat milde Händ und steten Sinn, das zieht zu ihm die Frauen hin", heißt es im Part der Buhlschaft, der in Zeiten wie diesen höchst befremdlich wirken muss, wenn man dazu neigt, alles auf sich und die Gegenwart zu beziehen.

Andererseits kann der Auftritt der verführerischen Liebhaberin auch ein riesiger Spaß sein, wenn man bereit ist, sich dem Jedermann-Wahnsinn hinzugeben: Unvergesslich, wie Senta Berger nicht nur Maximilian Schell, sondern auch das Publikum auf dem Domplatz verzauberte. Und nicht minder faszinierend, wie später Brigitte Hobmeier auf dem Fahrrad mitten ins Geschehen raste, mit langen roten Haaren und hohen Stiefeln und geradezu provozierend lässig. Zuletzt haben Valery Tscheplanowa und Caroline Peters die textlich eher bescheidene Rolle mit mondäner Grandezza ausgefüllt. Die Buhlschaft als schillernde Filmdiva, als leicht unterkühlte Illusionskünstlerin, die den von Todesangst getriebenen Geldsack an ihrer Seite nicht mehr wirklich braucht, um zu glänzen - das ist eine fast schon zeitgemäße Interpretation.

Bleibt also die Frage, was eine sinnliche Frau ausmacht. Die Haare? Wohl kaum. "Ist es nicht egal, welche Frisur die Buhlschaft hat? Die Rolle kann sich heute doch nicht mehr darüber definieren, was da auf dem Kopf wächst", sagt Altenberger der Neuen Osnabrücker Zeitung dazu.

Man kann schon jetzt eine Prognose wagen: Auch der "Jedermann" 2021 wird ein Spektakel. Aber nicht, weil Verena Altenberger die Haare kurz und Lars Eidinger die Haare lang trägt, sondern weil beide so viel Energie haben, dass sie das Stück zum Leuchten bringen können. Und nur darauf kommt's an, im Theater.

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