Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Ölklumpen an Traumstränden

Lesezeit: 2 min

2000 Kilometer Küste sind betroffen: Am Atlantik droht Brasilien nach den Waldbränden im Amazonasgebiet die nächste Umweltkatastrophe.

Von Christoph Gurk

Die zähen, schwarzen Klumpen kommen immer mit der Flut. Anfang September wurden sie das erste Mal an Brasiliens Nordostküste geschwemmt, mittlerweile wurden die schleimigen Brocken an mehr als 130 Stränden gefunden, darunter einige in Naturschutzgebieten, andere in beliebten Baderegionen. Strandabschnitte mussten gesperrt werden, in manchen Regionen wurde der Notstand ausgerufen, denn längst werden nicht mehr nur Klumpen angespült, sondern auch verendete Tiere, tote Seevögel oder Schildkröten, deren Körper mit schwarzem, klebrigem Öl verschmiert waren.

Mittlerweile ist klar: Nach den Waldbränden im Amazonas gibt es die nächste Umweltkatastrophe in Brasilien. Eine ausgewachsene Ölpest sucht die Nordostküste heim, eine Strecke von 2000 Kilometern ist betroffen, geschätzte 100 Tonnen Öl wurden angespült - ein Drama.

Wie es dazu kommen konnte und wer der oder die Schuldigen sind, wird erst langsam klar. Der anfängliche Verdacht, das Öl könnte aus einer brasilianisches Leitung oder Förderanlage ausgelaufen sein, ist mittlerweile widerlegt. Brasiliens halbstaatlicher Ölkonzern Petrobras sagt, Tests hätten ergeben, dass die Ölklumpen nicht aus Brasilien stammen. Die Umweltbehörde Ibama hat das bestätigt.

In Ermangelung eines Verdächtigen erklärte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro am Wochenende, das Öl könnte von Kriminellen stammen oder von einem gesunkenen Schiff. Am Samstag gab er eine Studie in Auftrag, beteiligt waren Militär, Justizministerium, Polizei und die Umweltbehörden. Am Montag darauf folgten vage Andeutungen: "Wir haben ein Land auf unserem Radar", sagte Bolsonaro, ohne weiter ins Detail zu gehen. Am Mittwoch dann sagte Brasiliens Umweltminister Ricardo Salles bei einer Anhörung im Parlament die Studie habe ergeben, dass das Öl "sehr wahrscheinlich aus Venezuela stammt".

Brasiliens nördlicher Nachbar besitzt einen Großteil der weltweiten Erdölreserven, gleichzeitig unterliegt das Land strengen Sanktionen der USA. Die Regierung in Washington wirft dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro Wahlbetrug vor und unterstützt stattdessen den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaido. Auch zwischen Venezuela und Brasilien sind die Beziehungen nicht gerade einfach, Bolsonaro hat in der Vergangenheit Maduro immer wieder scharf kritisiert, täglich strömen dazu Flüchtlinge aus Venezuela über die brasilianische Grenze, nun also auch noch venezolanisches Öl an Brasiliens weißen Stränden: Die Stimmung ist, gelinde gesagt, ziemlich gereizt.

Dabei ist immer noch vollkommen unklar, wie das Öl überhaupt ins Meer gelangen konnte. Ein Schiff habe die Katastrophe verursacht, sagte Umweltminister Salles, "versehentlich oder auch absichtlich". Ein Schiffbruch wird dabei von den meisten Experten ausgeschlossen.

Manche glauben, es könnte sich um einen Tanker gehandelt haben, der Öl aus Venezuela geladen hatte und dann auf offener See seine Tanks gesäubert hat. Dem widerspricht aber zum Beispiel der Chef von Petrobras, Roberto Castello, der glaubt, die Menge an Öl, die an den Stränden gefunden wurde, sei zu groß, als dass es sich um eine Routinetanksäuberung gehandelt haben könnte.

Eine Hypothese geht darum davon aus, dass das Öl an den Stränden von Schmugglern stammt, die das US-Embargo gegen Venezuela umgehen wollten. Auf offener See könnten sie versucht haben, Öl von einem Schiff auf ein anderes umzuladen, wobei ein Teil der Ladung ins Meer gelangte.

Die Behörden versuchen, die Strände zu reinigen, eine Sisyphusarbeit, denn kaum ist der Sand sauber, schwemmt die Flut neue Klumpen an. "Die Situation ist sehr schwer zu kontrollieren", erklärte Umweltminister Salles. Ausnahmsweise stimmte er damit sogar mit Marina da Silva überein, eine von Brasiliens bekanntesten Naturschützerinnen und ehemalige Umweltministerin für die linke Arbeiterpartei. Es könne bis zu 20 Jahre dauern, das Öl aus dem Meer zu bekommen, schrieb Silva auf Twitter. "Das was an Brasiliens Stränden passiert, ist ein Verbrechen".

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Quelle:
SZ vom 11.10.2019
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